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Geldpolitik wirkt über Kredite

Geldpolitik wirkt über Kredite

Einleitung

Versucht die Schweizerische Nationalbank (SNB) eigentlich die Wirtschaft zu steuern? In den Nachrichten klingt es stets so einfach: „Die Nationalbank hebt den Leitzins an – Kredite werden teurer, Konsum und Investitionen gehen zurück.“ Oder: „Die SNB senkt den Zins – Kredite werden günstiger, die Konjunktur zieht an.“ Ein Dreh am Zinsrad, und schon läuft die Wirtschaft langsamer oder schneller – so jedenfalls die vereinfachte Darstellung. Doch wer genauer hinschaut, merkt rasch: Ganz so linear funktioniert es nicht.

Denn Geldpolitik wirkt nicht direkt, sondern vermittelt über Banken, Unternehmen und Haushalte. Banken geben Kredite, und jeder Kredit schafft neues Buchgeld. Doch ob Kredite nachgefragt und vergeben werden, hängt nicht allein vom Preis, also vom Zins, ab. Es hängt auch vom Vertrauen der Menschen in die Zukunft ab. Unternehmen investieren nur, wenn sie Wachstum erwarten. Haushalte nehmen Hypotheken nur auf, wenn sie Einkommenssicherheit spüren. Und Banken vergeben Kredite nur dann, wenn sie die Risiken als tragbar einschätzen.

So entsteht eine komplexe Kette von Abhängigkeiten, Unsicherheiten und Zeitverzögerungen. Der Leitzins ist ein Signal, aber kein Steuerknüppel. Er kann die Richtung vorgeben, doch er zwingt niemanden, Kredite aufzunehmen oder zu vergeben.

Noch komplizierter wird es durch ein hartnäckiges Missverständnis, das bis heute in Schulbüchern, Medien und öffentlichen Debatten weiterlebt: das Bild der Bank als „Zwischenhändler von Einlagen“. Nach diesem Mythos sammeln Banken die Spareinlagen ihrer Kunden ein und verleihen sie dann weiter. In Wirklichkeit jedoch schaffen Banken im Moment der Kreditvergabe neues Geld. Es handelt sich nicht um das Weiterreichen bestehender Guthaben, sondern um die Schöpfung neuen Buchgeldes. Dieser fundamentale Unterschied macht deutlich: Unser Geldsystem ist kreditbasiert, und Verschuldung ist sein Motor.

Was bedeutet das für die Wirkung der Geldpolitik? Und welche Folgen hätte es, wenn breite Bevölkerungskreise wirklich verstehen würden, dass neues Geld nicht durch Sparen entsteht, sondern durch Kredite und damit durch Schulden? Genau diese Fragen stehen im Zentrum dieses Artikels.

Hauptteil

2.1 Geldpolitik als indirekte Steuerung

Der Leitzins ist das zentrale Instrument der SNB. Er bestimmt, zu welchen Konditionen Guthaben der Banken bei der SNB, also das echte Geld, verzinst wird. Sinkt der Leitzins, sinken in der Regel auch die Kreditkosten für Haushalte und Unternehmen. Steigt er, verteuern sich Hypotheken, Unternehmenskredite und andere Finanzierungen.

So weit die Theorie. In der Praxis wirkt die Geldpolitik jedoch indirekt, verzögert und nicht immer in die gewünschte Richtung. Zinsänderungen müssen zuerst von den Banken weitergegeben werden. Dann hängt es von der Nachfrage ab, ob Unternehmen oder Privathaushalte tatsächlich Kredite aufnehmen. Diese Reaktionen brauchen Zeit – manchmal Monate, manchmal Jahre.

Ein Blick in die jüngere Vergangenheit der Schweiz zeigt dies deutlich: Zwischen 2015 und 2022 galten für Guthaben der Banken bei der SNB Negativzinsen. Ziel war es, Investitionen und Konsum zu fördern und gleichzeitig den Schweizer Franken gegenüber dem Euro zu schwächen. Doch viele Unternehmen hielten sich zurück, weil sie die weltwirtschaftlichen Aussichten unsicher einschätzten. Die Kreditaufnahme stieg nicht in dem Ausmass, wie es sich die SNB vielleicht erhofft hatte. Erst ab 2022, mit steigender Inflation, kehrte sich die Politik: Die Zinsen wurden wieder erhöht, um Preissteigerungen zu dämpfen. Auch hier zeigte sich: Die Wirkung war spürbar, aber nicht mechanisch vorhersehbar.

2.2 Kreditschöpfung als Motor des Systems

Um zu verstehen, wie Geldpolitik wirkt, muss man die Funktionsweise des Geldsystems betrachten. Rund 90 Prozent des in der Schweiz, ausserhalb der Banken, umlaufenden Geldes existieren nicht in Form von Noten und Münzen, sondern als Buchgeld – also als Kontoguthaben. Dieses Buchgeld entsteht, wenn Banken Kredite vergeben.

Ein einfaches Beispiel: Nimmt ein Unternehmen einen Kredit über eine Million Franken auf, schreibt die Bank diesen Betrag auf dem Konto gut. Das Geld ist neu geschaffen und kann sofort ausgegeben werden. Erst wenn der Kredit zurückbezahlt wird, verschwindet dieses Geld wieder aus dem Umlauf.

Das bedeutet: Wirtschaftswachstum hängt direkt mit der Bereitschaft zur Kreditaufnahme zusammen. Werden keine neuen Kredite vergeben, stagniert oder reduziert sich die Geldmenge – und damit normalerweise auch die wirtschaftliche Dynamik. Geldpolitik wirkt also nicht über „Sparvermögen“, sondern über die Kreditbereitschaft von Banken und Kunden.

Eine Ausnahme eines Wirtschaftswachstums ohne Erhöhung der Geldmenge, wäre eine Erhöhung der Geldumlaufgeschwindigkeit. Dies ist aber Sonderfällen vorbehalten. Einer dieser Sonderfälle war Wörgl 1932. Alle hatten fast überall Schulden. Dann gab es das neue Lokalgeld mit einer Art Briefmarke die am Ende des Monats auf die Rückseite geklebt werden musste. Deshalb wollte jeder das neue Ersatz-Geld so schnell wie möglich wieder loswerden. Dies führte dann zu einer fast extrem hohen Geldumlaufgeschwindigkeit.

2.3 Psychologie und Vertrauen als entscheidende Faktoren

Dass Kredite nicht allein vom Zins abhängen, zeigt die Psychologie der Wirtschaft. In Krisenzeiten – etwa nach der Finanzkrise 2008 oder während der Corona-Pandemie – können die Zinsen noch so tief sein: Wenn Unternehmen keine Perspektive sehen, investieren sie nicht. Wenn Haushalte unsicher über ihren Arbeitsplatz sind, nehmen sie keine Hypotheken auf.

Umgekehrt können Phasen grossen Optimismus dazu führen, dass selbst hohe Zinsen die Kreditaufnahme nicht bremsen. Vertrauen, Erwartungen und Risikoeinschätzung sind also entscheidende Treiber.

Auch die Banken selbst agieren nicht mechanisch. Sie prüfen die Bonität, sie wägen Risiken ab. Selbst bei tiefen Zinsen können sie restriktiv sein, wenn sie die wirtschaftliche Lage als unsicher einschätzen. Deshalb ist die Wirkung der Geldpolitik niemals linear, sondern stark von den Stimmungen und Erwartungen abhängig.

2.4 Unerwartete, vielleicht gewollte, Nebenwirkungen der Geldpolitik?

Ein weiteres Problem: Billiges Geld fliesst nicht immer dorthin, wo es erwünscht ist. Statt in die Realwirtschaft – also in Investitionen in Maschinen, Forschung oder Infrastruktur – wandert es oft in die Finanzmärkte. Aktienkurse steigen, Immobilienpreise schiessen in die Höhe.

Gerade die Schweiz kennt dieses Phänomen gut: Die Hypothekarverschuldung der privaten Haushalte gehört zu den höchsten weltweit. Tiefe Zinsen haben Wohneigentum scheinbar erschwinglich gemacht – gleichzeitig aber die Immobilienpreise in die Höhe getrieben. Wer schon besitzt, wird reicher. Wer kaufen möchte, steht vor immer höheren Hürden. So verstärkt Geldpolitik soziale Ungleichheit.

Nebenwirkungen sind auch auf den Finanzmärkten sichtbar: Billiges Geld treibt Spekulation an, fördert Blasenbildungen und kann die Stabilität gefährden. Die eigentliche Absicht der Geldpolitik der SNB – Konjunktur und Preisstabilität – wird dadurch oft überlagert von schwer kontrollierbaren Nebeneffekten.

Manche Grossbanken gewähren ihren reichen Privatkunden hohe Kredite um am Finanzmarkt investiren zu können. Sie erziehlen damit Zinseinnahmen, Handelseinnahmen, sogenannte Neugelder etc.

2.5 Mythos der Einlagenvergabe

Das öffentliche Bild von Banken als „Hüter der Spareinlagen“ ist tief verankert. Man stelle sich vor: Kunden bringen ihre Ersparnisse, die Bank verleiht sie an Kreditnehmer. So einfach, so plausibel. Doch falsch. In einem Vollgeld-System wäre es dagegen so.

Tatsächlich ist es heute genau umgekehrt: Banken schaffen durch Kreditvergabe neues Buchgeld. Die Einlage, die auf dem Konto des Kreditnehmers erscheint, existierte zuvor nicht. Nur ein kleiner Teil der Guthaben der Bank bei der SNB, also das echte Geld, dient als Liquiditätsreserve die die Bank immer haben muss.

Warum hält sich der Mythos trotzdem? Weil er das System harmloser erscheinen lässt. Er verschleiert, dass unsere gesamte Geldversorgung von der Verschuldungsbereitschaft abhängt. Und er versteckt die Macht der Banken. Und er vermeidet die unbequeme Frage: Was geschieht, wenn niemand mehr bereit ist, neue Schulden aufzunehmen?

Das Verständnis dieser Dynamik ist zentral, um Geldpolitik realistisch einzuschätzen. Denn wer noch glaubt, Banken würden nur vorhandene Ersparnisse weiterreichen, missversteht den Kern des Systems.

2.6 Bezug zur Vollgeld-Initiative (Schweiz 2018)

Die Schweizer Vollgeld-Initiative brachte diese Fragen 2018 ins politische Rampenlicht. Ihr Vorschlag: Nur die SNB sollte Geld schöpfen dürfen. Geschäftsbanken hätten Kredite nur noch aus bereits existierendem Geld vergeben können. Genau so, wie die meisten Menschen es sich vorstellen, dass es sei.

Die Befürworter versprachen sich mehr Stabilität, weniger Krisenanfälligkeit und eine demokratisch kontrollierte Geldschöpfung. Die Gegner warnten, dass eine solche Umstellung die Kreditversorgung gefährden und die Wirtschaft lähmen könnte.

Am Ende lehnten 76 Prozent der Stimmbürger die Initiative ab. Doch knapp ein Viertel stimmte zu – ein bemerkenswert hoher Anteil für eine so komplexe Materie. Das Ergebnis zeigte: Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung spürt, dass mit unserem Geldsystem etwas nicht stimmt.

Für die Diskussion um Geldpolitik war die Initiative wegweisend. Sie machte sichtbar, dass das bestehende System keineswegs naturgegeben ist, sondern eine politische Entscheidung darstellt. Und sie stellte die zentrale Frage: Wer soll die Macht haben, neues Geld zu schaffen – private Banken oder die öffentliche Hand?

Schlussfolgerung und Ausblick

Geldpolitik wirkt über Kredite. Doch sie ist kein simples Stellrad, an dem die SNB dreht und sofort vorhersehbare Ergebnisse erzielt. SNB-Zinsen sind Signale, keine Garantien. Ihre Wirkung hängt von Vertrauen, Erwartungen und Risikobereitschaft ab – und sie entfaltet sich mit Zeitverzögerung, u.U. mit unerwarteten Nebenwirkungen.

Dieses Wissen verändert den Blick auf unser Finanzsystem. Es zeigt, dass die SNB zwar mächtig ist, aber keine absolute Kontrolle hat. Es zeigt auch, dass Geldpolitik die Gesellschaft weit über Inflation und Konjunktur hinaus betrifft: Sie beeinflusst Immobilienpreise, Vermögensverteilung und die Stabilität der Banken.

Die Vollgeld-Initiative hat deutlich gemacht, dass ein Teil der Bevölkerung eine andere Lösung sucht. Auch wenn sie abgelehnt wurde, bleibt die Debatte aktuell: Soll die Schöpfung von Geld wirklich fast ausschliesslich durch Kreditvergabe privater Banken erfolgen? Oder braucht es neue Regeln, die demokratische Kontrolle stärken und die Abhängigkeit von Verschuldung reduzieren?

Für die Zukunft gilt: Ohne breites Verständnis für die Mechanismen der Geldschöpfung werden wir immer wieder von Krisen überrascht. Solange der Mythos von den „weitergereichten Spareinlagen“ dominiert, bleibt der Kern des Systems im Verborgenen. Doch wer erkennt, dass neues Geld nur durch neue Schulden entsteht, versteht auch die Risiken – und kann bessere Entscheidungen treffen.

Darum ist Aufklärung entscheidend. Wer Geld versteht, versteht die Wirtschaft. Und wer die Mechanismen kennt, erkennt auch die Spielräume für Reformen.

Deshalb: Sprich mit Freunden, Bekannten und Kollegen über dieses Thema. Je mehr Menschen die Grundlagen begreifen, desto stärker kann die Gesellschaft mitreden, wenn es um die Zukunft des Schweizer Franken und unseres Finanzsystems geht. Nur wer informiert ist, kann mitgestalten.


Vielleicht doch ein Staatsfonds für die Schweiz?

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Schuldenabbau bedeutet auch Guthabenabbau, Immer!

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