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Private Verschuldung = Treiber für Konsum und Investition

Private Verschuldung = Treiber für Konsum und Investition

Einleitung

Warum wächst eine moderne Volkswirtschaft eigentlich? Liegt es an der Kreativität der Menschen, an technologischem Fortschritt oder schlicht an Fleiß und Disziplin? Diese Faktoren spielen zweifellos eine Rolle – doch im Zentrum steht etwas weniger Offensichtliches: die private Verschuldung. In einem kreditbasierten Geldsystem, wie demjenigen der Schweiz, entsteht neues Geld nicht dadurch, dass die Nationalbank Scheine druckt, sondern dadurch, dass Banken Kredite vergeben. Sobald ein Haushalt einen Hypothekarkredit für den Kauf eines Eigenheims aufnimmt oder ein Unternehmen einen Investitionskredit für neue Maschinen erhält, schreibt die Bank dem Kreditnehmer neu geschaffenes Buchgeld auf dem Konto gut. Dieses Geld tritt unmittelbar in den Wirtschaftskreislauf ein und wird für Konsum, Bauprojekte oder unternehmerische Aktivitäten verwendet.

Damit wird klar: Das Wachstum unserer Wirtschaft hängt an der Bereitschaft, Schulden aufzunehmen. Ohne private Verschuldung stagniert die Geldschöpfung, und damit versiegt der Zustrom an frischem Geld, das Nachfrage, Investition und Beschäftigung antreibt. Die Folge: Produktionsrückgänge, steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Investitionsbereitschaft. Zugleich birgt diese Logik ein Dilemma: Je mehr Kredite vergeben werden, desto stärker wachsen Konjunktur und Vermögenspreise – bis die Dynamik kippt und eine Krise auslöst.

Die Politik versucht, diesen Zyklus über Zinssätze, Regulierung und Erwartungen zu steuern. Doch in der Praxis geschieht dies häufig prozyklisch, also im Gleichschritt mit den Stimmungen der Märkte. Wenn Zuversicht herrscht, lockern Regierungen und Banken die Zügel; wenn Unsicherheit dominiert, ziehen sie sie an – und verschärfen so die Ausschläge. Daraus entstehen Übertreibungen, Blasen und tiefe Einbrüche.

Frage an Sie, liebe Leserin, lieber Leser: Haben Sie sich schon einmal bewusst gemacht, dass Ihr persönlicher Kreditentscheid – sei es für ein Auto, ein Eigenheim oder eine Geschäftsidee – nicht nur Ihre private Situation betrifft, sondern das Räderwerk der gesamten Volkswirtschaft beeinflusst? Genau dieser Mechanismus ist es, der im Folgenden näher beleuchtet werden soll.

Hauptteil

1. Wie entsteht neues Geld?

Die Vorstellung, dass Banken lediglich das Geld weiterverleihen, das sie zuvor von Sparern erhalten haben, ist weit verbreitet – aber falsch. In Wirklichkeit schaffen Banken bei der Kreditvergabe neues Geld. Wer einen Kreditvertrag unterzeichnet, erhält auf seinem Konto eine Gutschrift, die vorher nicht existierte. Kein anderes Konto hat deswegen einen tieferen Saldo. Es handelt sich um sogenanntes Giralgeld, also Buchgeld, das sofort für Zahlungen eingesetzt werden kann. Auf der Aktivseite der Bankbilanz erscheint die Forderung gegenüber dem Kreditnehmer, auf der Passivseite das neu geschaffene Guthaben. Dieses einfache Prinzip erklärt, warum die Kreditvergabe das zentrale Ventil für die Geldschöpfung ist.

In der Schweiz, wie in anderen entwickelten Volkswirtschaften, besteht über 90 % der Geldmenge aus solchem Buchgeld. Nur ein kleiner Rest liegt in Form von Bargeld vor. Damit ist klar: Ohne private Kreditaufnahme stagniert nicht nur die Geldmenge, sondern auch der Motor der Realwirtschaft.

2. Private Verschuldung als Wachstumsfaktor

Das neu geschaffene Geld durch Kredite tritt direkt in den Wirtschaftskreislauf ein. Wenn Haushalte Hypotheken aufnehmen, wird gebaut, renoviert oder konsumiert. Wenn Unternehmen investieren, entstehen Arbeitsplätze und Produktionskapazitäten. In Boomphasen zeigt sich eine klare Korrelation: Hohe Kreditvergabe bedeutet hohe Wachstumsraten. Sinkt die Kreditaufnahme, schrumpfen Nachfrage und Produktion.

Ein anschauliches Beispiel bietet der Schweizer Immobilienmarkt. Jahrzehntelang wuchs die Bautätigkeit parallel zum Anstieg der Hypothekarvolumen. Das Baugewerbe, die Finanzbranche und eine Vielzahl von Zulieferindustrien profitieren direkt davon. Wird jedoch weniger Kredit vergeben, etwa weil die Zinsen steigen oder Banken strengere Auflagen machen, kühlt der Markt ab.

3. Prozyklisches Verhalten und seine Folgen

Das Verhalten von Kreditnehmern und Banken ist fast immer prozyklisch. In Zeiten niedriger Zinsen und optimistischer Erwartungen steigen sowohl die Nachfrage nach Krediten als auch die Bereitschaft, Kredite zu gewähren. Die Folge: ein Boom mit steigenden Investitionen, wachsenden Vermögenspreisen und hoher Beschäftigung.

Doch sobald Unsicherheit aufkommt, Zinsen steigen oder Vermögenspreise ins Wanken geraten, kehrt sich die Dynamik um. Kredite werden zurückgefahren, Konsum und Investition brechen ein, die Wirtschaft fällt in die Rezession. Genau dieses Muster verstärkt Schwankungen und macht das System krisenanfällig.

4. Politische Steuerung – ein Balanceakt

Die Politik versucht, über Zinspolitik, Regulierung und Erwartungsmanagement gegenzusteuern. In der Schweiz ist die Nationalbank mit ihrer Leitzinspolitik ein zentraler Akteur. Senkt sie die Zinsen, scheinen Kredite attraktiver, die Verschuldung steigt, die Konjunktur zieht an. Erhöht sie die Zinsen, verteuern sich Kredite, die Kreditvergabe sinkt, und die Wirtschaft bremst.

Doch diese Instrumente sind ungenau und wirken zeitverzögert. Zudem führt die prozyklische Psychologie der Marktteilnehmer dazu, dass Steuerungsversuche oft nicht stabilisierend wirken, sondern Schwankungen noch verstärken. Ein Beispiel ist der Hypothekarmarkt, auf dem die SNB seit Jahren versucht, Übertreibungen zu verhindern, während gleichzeitig die Nachfrage nach Wohneigentum aufgrund tiefer Zinsen ungebremst wächst.

5. Bezug zur Vollgeld-Initiative

Die Vollgeld-Initiative, über die die Schweizer Bevölkerung 2018 abstimmte, setzte genau hier an. Ihre Befürworter argumentierten, dass die Geldschöpfung durch private Banken zu instabil sei, da sie von der Kreditvergabe abhängt und prozyklische Dynamiken verstärkt. Künftig sollte nur noch die Nationalbank Geld schöpfen dürfen. Banken hätten lediglich als Intermediäre fungiert, die bereits existierendes Geld verleihen.

Die Initiative wurde klar abgelehnt, doch die Debatte zeigte, wie stark das heutige System von der privaten Verschuldung abhängig ist. Befürworter versprachen mehr Stabilität und weniger Blasenbildung, Gegner warnten vor einem Experiment mit ungewissen Folgen. Fakt ist: Im bestehenden System bleibt die Kreditaufnahme privater Haushalte und Unternehmen der entscheidende Treiber für Geldschöpfung und Wachstum.

6. Risiken und Krisendynamiken

Die Abhängigkeit von privater Verschuldung birgt erhebliche Risiken. Wenn Haushalte oder Unternehmen über ihre Verhältnisse verschuldet sind, drohen Zahlungsausfälle und Bankenkrisen. Eine zu starke Kreditexpansion kann Immobilienblasen erzeugen, deren Platzen tiefe Rezessionen nach sich zieht – wie die Finanzkrise 2008 eindrücklich zeigte. Auch die Schweiz ist nicht immun: Angesichts hoher Hypothekarvolumen warnen Experten regelmäßig vor Überhitzungen im Immobilienmarkt.

Internationale Vergleiche bestätigen, dass kreditgetriebene Booms und Krisen fast überall das gleiche Muster aufweisen. Steigende Verschuldung treibt Konsum und Investition, Übertreibungen führen zu Blasen, deren Platzen tiefe Krisen auslöst.

Schlussfolgerung & Ausblick

Private Verschuldung ist kein Randaspekt des Finanzsystems, sondern der eigentliche Motor der modernen Wirtschaft. Jeder Kredit, sei es für den Kauf eines Hauses, die Finanzierung eines Unternehmens oder den Konsum von Alltagsgütern, setzt einen Prozess in Gang, der weit über die individuelle Ebene hinausgeht. Er sorgt dafür, dass neues Geld entsteht, Nachfrage wächst, Arbeitsplätze gesichert werden – oder im negativen Fall, dass die Wirtschaft ins Stocken gerät.

Gleichzeitig bleibt die Abhängigkeit von privater Verschuldung ein strukturelles Risiko. Das System neigt zu Übertreibungen, weil Menschen und Institutionen meist gleichzeitig optimistisch oder pessimistisch handeln. Ein Herdentrieb. So entstehen Blasen und Krisen, die ganze Gesellschaften erschüttern können. Die Politik versucht gegenzusteuern, doch die bisherigen Instrumente reichen nicht aus, um Stabilität dauerhaft zu gewährleisten.

Die Debatte um die Vollgeld-Initiative hat gezeigt, dass Alternativen existieren – auch wenn sie politisch bislang keine Mehrheit fanden. Ob solche Reformen in Zukunft realistischer werden, hängt stark davon ab, wie wir mit den wiederkehrenden Krisen des kreditbasierten Systems umgehen. Jede Krise rüttelt an den Grundfesten des Vertrauens und öffnet ein Zeitfenster für neue Ideen.

Doch bis dahin gilt: Die Bereitschaft privater Akteure, Kredite aufzunehmen, bleibt entscheidend für die Dynamik der Realwirtschaft. Unser Wirtschaftssystem funktioniert nur, solange Haushalte und Unternehmen bereit sind, Schulden zu machen.

Ihr Beitrag beginnt hier: Sprechen Sie mit Freunden, Bekannten und Kollegen über diese Zusammenhänge. Je mehr Menschen verstehen, dass private Verschuldung der eigentliche Treiber von Konsum und Investition ist, desto bewusster können wir mit Krediten, Geld und Wachstum umgehen. Nur durch Aufklärung und Diskussion schaffen wir ein Bewusstsein für die Chancen und Risiken dieses Systems – und legen damit den Grundstein für eine reflektierte Wirtschaftspolitik der Zukunft.

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