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Das Geldsystem stützt sich auf Schulden

Das Geldsystem stützt sich auf Schulden

Einleitung

Haben Sie sich je gefragt, woher das Geld auf Ihrem Konto tatsächlich kommt? Viele Menschen stellen sich vor, Banken würden einfach die Ersparnisse anderer Kunden weiterreichen – wie Wasser aus einem Reservoir, das verteilt wird. Dieses Bild wirkt vertraut, ist aber falsch. Unser heutiges Geldsystem funktioniert ganz anders: Es ist kreditbasiert. Neues Geld entsteht nicht, weil irgendwo mehr gespart wurde, sondern weil jemand einen Kredit aufnimmt. Ohne Schulden gäbe es also kein neues Geld im Umlauf.

Jeder Schweizer Franken, den Sie auf Ihrem Konto sehen, ist das Ergebnis einer Kreditvergabe – sei es die Hypothek einer Familie in Bern, ein Unternehmenskredit für eine neue Produktionshalle oder ein Konsumentenkredit für ein Auto. Sobald eine Bank einen Kredit vergibt, schreibt sie dem Kreditnehmer diesen Betrag als Guthaben gut. Dieses Guthaben ist neues Buchgeld, das zuvor nicht existierte.

Doch dieser Mechanismus hat eine zweite, oft übersehene Seite: Mit jeder Rückzahlung verschwindet dieses Geld wieder aus dem System. Die Tilgung löscht es so, als hätte es nie existiert. Nur die Zinsen bleiben bestehen – als Einnahme der Bank. Damit die Geldmenge im Wirtschaftskreislauf stabil bleibt, müssen ständig neue Kredite vergeben werden, die den Effekt der Rückzahlungen ausgleichen.

Das bedeutet: Unser Geldkreislauf lebt vom Rhythmus der Kreditvergabe und -rückzahlung – ähnlich dem Pulsschlag eines Herzens. Kommt dieser Rhythmus ins Stocken, weil Banken zögern, neue Kredite zu vergeben, oder weil Haushalte und Unternehmen keine Schulden aufnehmen wollen, beginnt das System zu schwächeln. Investitionen brechen ein, der Konsum sinkt, Arbeitsplätze geraten in Gefahr.

Doch was passiert, wenn dieser Mechanismus nicht nur ins Stocken gerät, sondern für längere Zeit blockiert wird? Welche Risiken entstehen, wenn die Geldschöpfung fast ausschliesslich in privaten Bankbilanzen stattfindet? Und wäre ein System denkbar, in dem Geld auch ohne Schulden entstehen könnte – wie es etwa die Schweizer Vollgeld-Initiative vorgeschlagen hat?

Die Antworten darauf führen uns tief in die Funktionsweise unseres Finanzsystems – und zu einer unbequemen Wahrheit: Unser Geldsystem ist nicht nur kreditbasiert, sondern abhängig von Schulden.

Hauptteil

1. Wie Geld in unserem System entsteht – der Kreditmechanismus

Das Wesen unseres Geldsystems lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Geld ist eine Forderung, die aus einer Schuld entsteht. Wenn eine Bank einen Kredit vergibt, schreibt sie dem Kreditnehmer den entsprechenden Betrag als Guthaben auf seinem Konto gut. Dieses Guthaben ist kein umverteiltes Spargeld anderer Kunden, sondern neu geschaffenes Buchgeld. Die Bank muss dafür nicht erst physisches Bargeld oder bestehende Einlagen bereitstellen – es genügt der Buchungssatz in ihrer Bilanz.

Technisch funktioniert das so:

  • Auf der Aktivseite erscheint die Forderung an den Kreditnehmer (Kredit).

  • Auf der Passivseite erscheint das Guthaben des Kunden (Sichtverbindlichkeit).

Mit diesem Vorgang verlängert sich die Bilanz der Bank. In diesem Moment entsteht neues Geld. In der Schweiz passiert das täglich tausendfach – sei es durch Hypotheken, Unternehmenskredite, Leasingfinanzierungen oder Konsumdarlehen.

Beispiel: Nimmt eine Familie in Zürich eine Hypothek über 800’000 CHF auf, entstehen in diesem Moment 800’000 CHF neues Buchgeld. Dieses fliesst an den Verkäufer, der es vielleicht für den Kauf einer anderen Immobilie oder für Renovationsarbeiten verwendet. Innerhalb weniger Wochen hat das neu geschaffene Geld mehrere Eigentümer gewechselt und unterschiedliche wirtschaftliche Aktivitäten ermöglicht.

2. Geldvernichtung – die unsichtbare Kehrseite der Rückzahlung

So einfach Geld durch Kreditvergabe entsteht, so einfach verschwindet es bei Rückzahlung. Sobald der Kreditnehmer den geliehenen Betrag zurückzahlt, reduziert sich sowohl die Forderung der Bank als auch die Sichtverbindlichkeit. Das Geld, das einst durch den Kredit entstand, wird aus dem System gelöscht.

Die Bank behält lediglich die vereinnahmten Zinsen, die als Ertrag verbucht werden. Doch aus Sicht der gesamten Volkswirtschaft ist das entscheidend: Tilgungen verringern die Geldmenge. Damit diese stabil bleibt oder wächst, muss die Summe neuer Kredite mindestens so hoch sein wie die Summe der Rückzahlungen.

Dieser Prozess ist weitgehend unsichtbar. In öffentlichen Debatten wird oft nur über die Schuldenhöhe gesprochen, selten über den Umstand, dass Rückzahlungen zugleich Geldvernichtung bedeuten.

3. Abhängigkeit vom Kreditfluss – ein System im Gleichgewichtszwang

Das kreditbasierte Geldsystem ist auf stetige Bewegung angewiesen. Banken müssen Kredite vergeben wollen, und Haushalte sowie Unternehmen müssen bereit sein, diese aufzunehmen. Fehlt es an Vertrauen, gerät der Kreislauf ins Stocken.

Misstrauen kann viele Ursachen haben: Wirtschaftsflauten, geopolitische Unsicherheiten, sinkende Nachfrage, steigende Zinsen oder strengere regulatorische Vorgaben. Kommt es zu einer allgemeinen Zurückhaltung, sinkt die Kreditvergabe – und damit die Geldschöpfung.

Die Folge: Konsum und Investitionen brechen ein, Aufträge bleiben aus, Arbeitslosigkeit steigt. Da unser System so konstruiert ist, dass ein gewisser Teil der Nachfrage kreditfinanziert ist, hat jede Drosselung des Kreditflusses einen überproportionalen Effekt.

Als Beispiel sind heute in der Schweiz gem. SRF über die Hälfte der Neuwagen fremdfinanziert. SRF (Diagonal, 9.Jan 2024) schreibt „Bei der Fremdfinanzierung von Autos gibt es auch regionale Unterschiede: In der Deutschschweiz finanzieren 49 Prozent ihr Fahrzeug mit fremden Mitteln. In der Romandie sind es 66 Prozent und im Tessin sogar 79 Prozent.“

4. Die Rolle der Schweizerischen Nationalbank (SNB)

Die SNB ist für das sogenannte Zentralbankgeld zuständig – also Bargeld und Giroguthaben der Geschäftsbanken bei der Nationalbank. Dieses Zentralbankgeld bildet die Basis, auf der Geschäftsbanken Buchgeld schaffen können.

In der Schweiz besteht jedoch nur ein Bruchteil der gesamten Geldmenge aus Zentralbankgeld. Lange war es über 90 % Buchgeld, das von Geschäftsbanken durch Kreditvergabe erzeugt wird. Seit der Finanzkrise 2007/08 und seit dem Eingreifen der SNB in den Wechselkurs des Schweizer Frankens ist der Anteil an Zentralbankgeld deutlich gestiegen. Aufgrund der letzten Daten vom Mai 2025 sind es rund 40%. Die Mindestreserve wäre 4.0%

Die SNB steuert psychologisch den Kreditfluss indirekt über Leitzinsen, Mindestreserven und andere Instrumente. Senkt sie die Zinsen, wird Kreditaufnahme attraktiver, was die Geldschöpfung ankurbelt. Erhöht sie die Zinsen, soll dies die Kreditaufnahme bremsen. Allerdings kann die SNB nicht erzwingen, dass Banken Kredite vergeben – und auch nicht, dass Unternehmen oder Haushalte sie aufnehmen.

5. Risiken des kreditbasierten Systems

5.1 Schuldenwachstum als Dauerzustand

Damit die Geldmenge stabil bleibt, muss ständig neues Geld geschaffen werden. Das geschieht nur, wenn neue Kredite vergeben werden. Langfristig führt das zu steigender Verschuldung – bei Privathaushalten, Unternehmen und oft auch beim Staat.

5.2 Anfälligkeit für Kreditblasen

Leichte Kreditvergabe kann zu Spekulationsblasen führen. In der Schweiz zeigt sich das besonders im Immobilienmarkt: Tiefe Zinsen und hohe Kreditbereitschaft treiben die Preise in die Höhe. Wird die Kreditvergabe eingeschränkt, kann die Blase platzen – mit Folgen für Banken, Bauwirtschaft und Haushalte. Wie z.B. In den 90er Jahren zu sehen war. Aufgrund zu hoher Kreditvergabe bei schon hohen Immobilienpreise musste die Spar- und Leihkasse in Thun 1991 ihre Schalter schliessen. Kunden verloren dabei auch grosse Teile ihrer Kundeneinlagen.

5.3 Krisenverstärkung

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten verschärft die Kreditknappheit die Lage. Weniger Kreditvergabe bedeutet weniger Geld im Umlauf, was Investitionen und Konsum zusätzlich bremst. Dieser prozyklische Effekt ist eine der grössten Schwächen des Systems.

6. Historische Beispiele – wenn der Kreditpuls aussetzt

Die Finanzkrise 2008 verdeutlichte die Verletzlichkeit des kreditbasierten Systems. Jahrelang hatten Banken weltweit Kredite vergeben, teils ohne solide Sicherheiten. Als Zweifel an der Rückzahlungsfähigkeit aufkamen, brach der Kreditfluss abrupt ab. Die Folge war eine weltweite Rezession.

In der Schweiz zeigte sich der Effekt abgeschwächt, da das Bankensystem vergleichsweise solide kapitalisiert war. Dennoch führte die Krise zu einem deutlichen Rückgang der Kreditdynamik, insbesondere im Unternehmenssektor.

Ein weiteres Beispiel ist Japan in den 1990er-Jahren: Nach einem massiven Immobilien- und Aktienboom brach die Kreditvergabe ein, und das Land erlebte eine jahrzehntelange Stagnation – trotz extrem niedriger Zinsen.

7. Die Vollgeld-Initiative – ein Schweizer Reformversuch

2018 stimmte die Schweiz über die Vollgeld-Initiative ab. Ihr Kern: Nur die SNB sollte neues Geld schaffen dürfen. Geschäftsbanken hätten nur noch Geld verleihen dürfen, das sie zuvor von Sparern oder der SNB erhalten hatten.

Befürworter argumentierten, dies würde Bankenkrisen verhindern, die Geldschöpfung demokratischer Kontrolle unterstellen und die Geldmenge stabilisieren. Kritiker warnten vor einer Kreditklemme, längeren Wartezeiten für Finanzierungen und einer Verringerung der Flexibilität des Systems.

Mit 76 % Nein-Stimmen wurde die Initiative deutlich abgelehnt. Doch sie brachte das Thema „Wer schafft unser Geld?“ in die öffentliche Wahrnehmung und liess viele Bürger erstmals über die Grundlagen des Geldsystems nachdenken. Auch viele Fachleute in den Banken und der Wissenschaft wurden sich der Problematik erstmals bewusst.

8. Wachstumspfad und Zinsmechanismus

Mit jeder Kreditaufnahme entstehen Zinsverpflichtungen. Um diese zu bedienen, benötigen Kreditnehmer in der Zukunft mehr Geld, als sie ursprünglich aufgenommen haben. Dieses „Mehr“ kann nur aus neu geschöpftem Geld stammen – also aus weiteren Krediten.

Das führt zu einem systemimmanenten Wachstumszwang: Die Wirtschaft muss wachsen, damit alle Kredite samt Zinsen bedient werden können. In Wachstumsphasen wirkt dieser Mechanismus stabilisierend. In stagnierenden oder schrumpfenden Phasen verstärkt er jedoch wirtschaftliche Probleme.

9. Psychologie und Erwartungen – die stille Steuerungskraft

Neben Zinsen und Regulierung spielt die Psychologie eine zentrale Rolle. Erwartet die Mehrheit steigende Einkommen, stabile Jobs und wachsende Märkte, steigt die Kreditaufnahmebereitschaft. Umgekehrt können negative Schlagzeilen oder politische Unsicherheit zu einem plötzlichen Rückgang führen. Dies ist aktuell bei der Unsicherheit wegen der Zollpolitik der USA bereits zu sehen.

Banken reagieren ebenfalls psychologisch: In guten Zeiten lockern sie Kreditstandards, in unsicheren Zeiten verschärfen sie diese. Diese Verstärkungseffekte – Euphorie und Pessimismus – prägen den Kreditzyklus ebenso stark wie harte wirtschaftliche Daten.

10. Bargeld- vs. Buchgeldschöpfung

In der Schweiz unterscheidet man zwischen Bargeld, das ausschliesslich von der SNB geschaffen wird, und Buchgeld, das von Geschäftsbanken erzeugt wird. Bargeld – Banknoten und Münzen – macht nur einen sehr kleinen Teil der Geldmenge aus. Der Bargeldumlauf ausserhalb von Banken betrug im Juni 2025 rund 73 Mrd. Bei einer gesamten Geldmenge M3 von 1’184 Mrd, also gut 6%.

Buchgeld hingegen existiert nur als Zahl auf einem Konto. Es ist die dominierende Geldform im modernen Zahlungsverkehr, weil Überweisungen, Kartenzahlungen und Lastschriften den Alltag bestimmen. Entscheidend: Buchgeld ist rechtlich gesehen eine Forderung gegenüber der Bank – kein gesetzliches Zahlungsmittel. Die Akzeptanz basiert auf Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Bank und die Stabilität des Finanzsystems.

Die grosse Mehrheit aller wirtschaftlichen Transaktionen in der Schweiz wird heute mit Buchgeld abgewickelt. Das bedeutet: Der grösste Teil unseres Geldes existiert nur, solange Banken Kredite vergeben und ihre Kunden Vertrauen in dieses System haben.

11. Wenn die Kreditnachfrage gleichzeitig einbricht

Besonders kritisch wird es, wenn nicht nur Banken weniger Kredite vergeben wollen, sondern auch die Kreditnachfrage sinkt. Solche Phasen gab es in der Vergangenheit – etwa nach der Finanzkrise 2007/08 oder während der Corona-Krise 2020.

Nach der Krise 2008 herrschte weltweit wirtschaftliche Unsicherheit. Unternehmen verschoben Investitionen, Haushalte hielten sich mit grösseren Anschaffungen zurück. Selbst tiefe Zinsen reichten nicht aus, um die Kreditnachfrage spürbar zu beleben.

Während der Corona-Pandemie kam ein anderer Faktor hinzu: Lockdowns und Unterbrechungen in Lieferketten reduzierten die Möglichkeiten, Kredite produktiv einzusetzen. Viele Unternehmen konzentrierten sich darauf, Liquidität zu sichern, statt neue Schulden aufzunehmen.

In beiden Fällen führte die Kombination aus vorsichtigen Banken und zurückhaltenden Kreditnehmern zu einer deutlichen Abschwächung der Geldschöpfung. Das zeigt, wie anfällig ein kreditbasiertes Geldsystem für gleichzeitige Angebots- und Nachfrageschocks im Kreditmarkt ist.


Schlussfolgerung & Ausblick

Das kreditbasierte Geldsystem ist ein faszinierendes, aber zugleich fragiles Konstrukt. Es ermöglicht, dass Geldschöpfung flexibel auf wirtschaftliche Bedürfnisse reagieren kann – oft innerhalb von Stunden. Gleichzeitig bedeutet diese Flexibilität auch Abhängigkeit: Der gesamte Wirtschaftskreislauf steht und fällt mit der Bereitschaft von Banken, Kredite zu vergeben, und der Bereitschaft von Haushalten und Unternehmen, diese Kredite aufzunehmen.

Solange Optimismus herrscht, Einkommen wachsen und Investitionschancen locken, wirkt das System stabil. Es kann enorme Wachstumsphasen unterstützen, Vermögensaufbau ermöglichen und Wohlstand fördern. Doch in Phasen von Unsicherheit, Rezession oder Vertrauensverlust kehrt sich dieser Mechanismus um. Rückzahlungen übersteigen dann die Neukreditvergabe, und die Geldmenge schrumpft – mit potenziell gravierenden Folgen für Beschäftigung, Konsum und Investitionen.

Die Schweizerische Nationalbank kann diesen Zyklen nur begrenzt entgegenwirken. Auch wenn sie Zinsen senkt oder Liquidität bereitstellt, bleibt die psychologische Komponente entscheidend. Vertrauen lässt sich nicht von heute auf morgen erzwingen – und Misstrauen wirkt oft stärker und schneller als Optimismus.

Die Debatten um Reformen – wie die Vollgeld-Initiative – zeigen, dass es in der Gesellschaft ansatzweise ein Bewusstsein für die systemische Abhängigkeit von Kreditströmen gibt. Doch jede Reform hätte Nebenwirkungen, die sorgfältig abgewogen werden müssen.

Der Blick in die Zukunft wirft Fragen auf:

  • Wie kann die Stabilität des Systems gewahrt werden, wenn Kreditwachstum nicht mehr selbstverständlich ist?

  • Welche Rolle werden alternative Geldformen wie digitale Zentralbankwährungen spielen?

  • Und wie kann die Gesellschaft verhindern, dass Krisen im Kreditmarkt zu Krisen in der Realwirtschaft werden?

Eines steht fest: Wer das Zusammenspiel von Geldschöpfung und Kreditvergabe versteht, erkennt nicht nur die Chancen und Risiken des heutigen Systems – er versteht auch, warum wirtschaftliche Stabilität keine Selbstverständlichkeit ist.

Grundlagen des Geldsystems - Zusammenfassung

Zentralbankgeld vs. Buchgeld – Wer schafft unser Geld wirklich?

Zentralbankgeld vs. Buchgeld – Wer schafft unser Geld wirklich?