Geld = Forderung auf Schuldentilgung
Was wir als „Geld“ bezeichnen, ist meist eine Forderung
Einleitung
Was ist Geld? Eine einfache Frage – scheinbar. Die meisten würden spontan auf ihre Geldbörse oder ihr Bankkonto zeigen. Bargeld, also Noten und Münzen sowie Kontoguthaben. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Geld ist heute kein Gegenstand mehr mit einem eigenen inneren Wert. Es ist vielmehr ein Anspruch, ein Versprechen. Eine Forderung – auf Schuldentilgung.
Ein Kontostand von 5.000 CHF klingt beruhigend. Aber was ist das wirklich? Es ist kein „Guthaben“ im klassischen Sinne wie ein Vorrat im Keller. Es ist eine Forderung gegen eine Bank: Ein Versprechen, dass die Bank bei Bedarf den Betrag auszahlt – in bar oder per Überweisung. Und Bargeld? Auch das ist keine „Sache“, sondern eine Forderung an die Schweizerische Nationalbank.
Diese Sichtweise mag überraschen. Schließlich erscheint Geld im Alltag als etwas Greifbares, Sicheres. Doch das Fundament unseres Geldsystems beruht auf Vertrauen in Rückzahlung. Und dieses Vertrauen hat Grenzen – wie jede Forderung.
Was passiert, wenn dieses Vertrauen schwindet? Wenn Banken ins Straucheln geraten oder Staaten über ihre Verhältnisse leben? Wenn alle gleichzeitig „ihr Geld“ wollen? Wer versteht, dass Geld in Wahrheit eine Forderung ist, erkennt die Fragilität hinter der Fassade von Stabilität.
Dieser Artikel zeigt auf, warum jedes Guthaben eine Schuld voraussetzt – und warum unser Geldsystem auf gegenseitigen Versprechen basiert. Wer dieses Prinzip begreift, schaut mit neuen Augen auf sein Portemonnaie – und auf die Risiken wie auch Chancen eines Systems, das auf Vertrauen beruht.
2.1 Was ist Geld aus rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht?
In der klassischen Volkswirtschaftslehre erfüllt Geld drei Hauptfunktionen:
Tauschmittel – man kann es gegen Waren und Dienstleistungen eintauschen.
Recheneinheit – Preise und Werte werden in Geldeinheiten (z. B. CHF) ausgedrückt.
Wertaufbewahrungsmittel – Geld erlaubt es, Kaufkraft über die Zeit zu speichern.
Diese Definition ist hilfreich, aber unvollständig. Denn sie sagt nichts über die Herkunft und Beschaffenheit des Geldes. Erst der rechtliche Blick ergänzt die fehlende Perspektive: Geld ist in modernen Systemen kein „Ding“, sondern ein Anspruch.
Der Schweizer Franken (CHF) ist die gesetzliche Währung der Schweiz – aber die Form, in der er existiert, unterscheidet sich deutlich. Nur etwa 10 % des umlaufenden Geldes ist Bargeld (Münzen, Noten), der Rest besteht aus Buchgeld, das auf Konten geführt wird.
Und dieses Buchgeld ist keine staatliche Schöpfung, sondern entsteht durch private Geschäftsbanken, üblicherweise bei der Kreditvergabe. Das bedeutet: Wenn jemand einen Kredit aufnimmt, entsteht Geld – als Forderung gegen die Bank.
Was wir als „Geld“ wahrnehmen, ist daher oft nur ein Anspruch gegen eine Institution – nicht das Geld selbst, sondern das Versprechen, es bei Bedarf zu erhalten.
2.2 Bargeld – Die Forderung an die Zentralbank
Bargeld hat eine besondere Stellung im Geldsystem: Es ist die einzige Form von Geld, die direkt von der Zentralbank stammt. In der Schweiz ist dies die Schweizerische Nationalbank (SNB).
Jede Banknote, jede Münze ist eine Verbindlichkeit der SNB. Juristisch gesehen handelt es sich dabei um eine Schuld der Zentralbank an den Inhaber. Das mag verwundern, denn man kann eine 100-Franken-Note ja nicht bei der SNB „zurückgeben“ und etwas anderes dafür verlangen. Doch in ihrem Wesen ist auch Bargeld eine Forderung – auf gesetzlich akzeptiertes Zahlungsmittel.
Diese Sonderstellung bedeutet: Bargeld ist risikoärmer als Buchgeld. Denn es ist nicht von der Zahlungsfähigkeit einer privaten Bank abhängig. Wer Bargeld hält, hat eine unmittelbare Forderung an die Nationalbank – keine Forderung an eine Drittpartei.
Daher zeigt sich in Krisenzeiten häufig ein Fluchtverhalten ins Bargeld. Menschen ziehen ihr Geld von den Konten ab, weil sie der Bank nicht mehr trauen – und horten Bargeld als „sicheres Geld“. Dieser Reflex ist nicht irrational, sondern Ausdruck eines tiefen Verständnisses: Bargeld ist die Basis, auf der das Vertrauen ins System ruht.
2.3 Buchgeld – Die Forderung an Geschäftsbanken
Der Löwenanteil unseres täglichen Geldes besteht jedoch aus Buchgeld, also Einträgen auf Bankkonten. Diese Guthaben erscheinen uns als sicher, real und verfügbar. Doch juristisch handelt es sich auch hier um Forderungen an die Bank.
Wenn ein Kunde 10.000 CHF auf seinem Konto sieht, bedeutet das: Die Bank schuldet ihm diesen Betrag – entweder in Form von Bargeld oder durch Überweisung an Dritte. Dieses „Geld“ existiert nur als Verpflichtung der Bank.
Wie entsteht dieses Geld? Durch Kreditvergabe. Wenn eine Bank einem Kunden einen Kredit von 20.000 CHF gewährt, schreibt sie diesen Betrag auf dessen Konto gut – obwohl kein Bargeld hinterlegt wird. Diese Buchung ist rechtlich betrachtet eine gegenseitige Schuld: Der Kreditnehmer schuldet der Bank die Rückzahlung, und die Bank schuldet dem Kunden die Auszahlung des Kontoguthabens.
Dieses Prinzip nennt sich Giralgeldschöpfung. Banken „erschaffen“ Geld, indem sie Kredite vergeben. Sie benötigen dafür nur eine bestimmte Reserve (z. B. bei der SNB) und die rechtlichen Voraussetzungen. Das bedeutet auch: Geld entsteht durch Schulden – und verschwindet, wenn diese getilgt werden.
Deshalb ist jedes Kontoguthaben in Wahrheit ein Schuldschein, kein „Eigentum“ im klassischen Sinn. Und im Falle einer Bankeninsolvenz zeigt sich diese Realität schlagartig – denn Forderungen können auch uneinbringlich werden.
2.4 Systemisches Vertrauen – Warum das funktioniert
Warum funktioniert dieses System? Warum gibt es keinen ständigen Ansturm auf Bargeld, keine täglichen Zweifel an der Rückzahlungsfähigkeit der Banken?
Die Antwort lautet: Vertrauen. Das gesamte Geldsystem beruht auf dem kollektiven Glauben daran, dass Forderungen eingelöst werden können. Dieses Vertrauen ist in der Schweiz traditionell hoch – dank stabiler Banken, klarer Regulierung und einer starken Zentralbank.
Doch das Vertrauen ist nicht garantiert. Historische Beispiele – etwa der Bankencrash von 2008 oder einzelne Bankenzusammenbrüche – zeigen, wie schnell es bröckeln kann. Wenn viele Menschen gleichzeitig versuchen, ihr „Geld“ abzuheben, geraten Banken in Schwierigkeiten. Denn sie halten nur einen Bruchteil der Einlagen als Bargeld – der Rest ist verliehen.
Die Schweizer Finanzarchitektur hat auf solche Risiken reagiert: Mit Einlagensicherung, Regulierung und strengen Kapitalvorgaben. Dennoch bleibt die zentrale Erkenntnis: Geld ist nur so sicher wie sein Schuldner. Wer „Geld auf der Bank“ hat, ist Gläubiger – nicht Eigentümer von realem Vermögen.
Und die Zentralbank? Auch sie basiert auf Vertrauen – in den Staat, in die Stabilität der Währung, in die Unabhängigkeit der SNB. Sollte dieses Vertrauen je erschüttert werden, steht das gesamte Geldsystem auf dem Prüfstand.
2.5 Ein kurzer Blick auf die Vollgeld-Initiative
Im Jahr 2018 wurde in der Schweiz über unsere Vollgeld-Initiative abgestimmt. Ihr zentrales Anliegen: Buchgeld – also das Guthaben auf dem Bankkonto – sollte genauso sicher sein wie Bargeld. Die Initiative schlug vor, dass nur die Schweizerische Nationalbank Geld schaffen darf, nicht mehr die Geschäftsbanken. Bankguthaben wären dann nicht länger Forderungen gegenüber einer Bank, sondern echtes, gesetzliches Zahlungsmittel – also Vollgeld. Die Bürgerinnen und Bürger sollten die freie Wahl haben: Möchten sie mit Geld Ihrer Bank einen Kredit geben (wie heute ein Bankguthaben), oder soll die Bank es ausserhalb der Bilanz, und damit sicher, nur verwahren – ähnlich wie Bargeld in einem Safe? Auch wenn die Initiative abgelehnt wurde, brachte sie eine zentrale Frage ins öffentliche Bewusstsein: Warum ist unser digitales Geld weniger sicher als Bargeld – und sollte das so bleiben?
3. Schlussfolgerung & Ausblick
Geld ist nicht das, was es zu sein scheint. Es ist kein „Ding“, sondern ein Anspruch. Eine Forderung auf Schuldentilgung. Ob Bargeld oder Buchgeld – immer liegt ein Versprechen zugrunde. Dieses Versprechen ist nur so gut wie die Institution, die dahintersteht.
Wer diese Grundstruktur des Geldsystems versteht, gewinnt Klarheit – und erkennt auch seine eigene Rolle darin. Denn jeder von uns ist Teil dieses Systems: als Gläubiger, Schuldner, Bankkunde oder Steuerzahler.
Der Schweizer Franken ist stabil, weil das Vertrauen in die Schweizer Institutionen stark ist. Doch dieses Vertrauen muss gepflegt werden – durch Transparenz, Bildung und ehrliche Diskussion.
Sprechen Sie mit Freunden, Familie und Kollegen über dieses Thema. Fragen Sie: „Was ist Geld für dich – ein Ding oder ein Versprechen?“ Solche Gespräche öffnen den Blick für ein System, das unser aller Leben bestimmt – und das wir besser verstehen sollten, bevor es ins Wanken gerät.