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Demografie und Geldsystem

1. Einleitung – Ausgangslage & Problemstellung

Die Welt verändert sich leiser, aber tiefgreifender, als es die täglichen Schlagzeilen vermuten lassen. Während Politik und Medien über Klimaziele, Unternehmenssteuern oder geopolitische Spannungen diskutieren, entsteht eine weitaus fundamentalere Herausforderung: Die Bevölkerung vieler Industriestaaten schrumpft – und mit ihr die wirtschaftliche Basis, auf der unser kreditbasiertes Geldsystem ruht. Immer weniger Menschen arbeiten, konsumieren, investieren und gründen Unternehmen. Gleichzeitig verlangt das bestehende Geldsystem ununterbrochenes Wachstum, denn jeder geschaffene Franken ist eine Schuld, die mit Zinsen zurückgezahlt werden muss. Ohne Expansion droht Stillstand, und Stillstand bedeutet im heutigen Modell Instabilität oder sogar einen Währungskollaps.

Dieser Konflikt wird selten angesprochen, denn er stellt Grundannahmen unseres Wirtschaftsmodells infrage. Doch er berührt jeden Einzelnen: Renten, Löhne, Immobilienpreise, Steuereinnahmen, politische Stabilität und letztlich die Frage, wie Gesellschaften funktionieren, wenn die demografische Pyramide auf dem Kopf steht. Die Schweiz steht dabei exemplarisch inmitten dieser Entwicklung. Zwar ist die Lage robuster als in vielen EU-Ländern, doch die Richtung ist dieselbe: sinkende Geburtenraten, steigender Altersdurchschnitt, wachsender Druck auf Sozialwerke und sinkende strukturelle Wachstumsraten.

Gleichzeitig befinden wir uns in einer endlichen Welt. Ressourcen, Energie, Fläche und ökologische Tragfähigkeit lassen langfristig kein unbegrenztes Wirtschaftswachstum zu – schon gar nicht ein exponentielles. Aber genau das braucht unser Geldsystem, wenn es stabil bleiben soll. Was passiert also, wenn ein auf Expansion basierendes System auf eine Realität trifft, die keine Expansion mehr zulässt? Und was geschieht, wenn eine schrumpfende Bevölkerung weniger konsumiert, weniger Kredite aufnimmt und damit die Grundlage der Geldschöpfung weiter erodiert?

Diese Ausgangslage wirft brisante Fragen auf. Fragen, die nicht nur Ökonomen betreffen, sondern jeden, der in diesem System lebt, arbeitet und spart. Wie lange lässt sich ein Modell fortsetzen, das immer mehr Kaufkraft von vielen zu wenigen umverteilt? Wie lange lassen sich soziale Spannungen mit zusätzlichen Staatsausgaben beruhigen, wenn die Schuldlast auf immer weniger Schultern verteilt wird? Und vor allem: Gibt es Alternativen – Lösungen, die jenseits der traditionellen Denkmuster liegen und dennoch praktikabel sind?

Der entscheidende Punkt ist simpel, aber explosiv:
Was passiert, wenn weniger Menschen ein System tragen sollen, das auf immer mehr Schulden und immer mehr Wachstum angewiesen ist?

2. Kurze Analyse der Lage

Die Schweiz und viele weitere Länder treten mittelfristig in eine Phase strukturellen Bevölkerungsrückgangs ein. Das bedeutet: weniger Erwerbstätige, weniger Konsum, weniger Steuerbasis und weniger Nachfrage nach Krediten. Doch unser Geldsystem basiert auf genau diesen Krediten, denn Buchgeld entsteht, wenn Banken Darlehen vergeben. Schrumpft die Kreditnachfrage, schrumpft automatisch auch der Geldfluss – ein Problem für ein System, das aus sich heraus wachsen muss, um Zinslasten auszugleichen.

Inflation wird dabei zum wichtigsten Stabilisator. In Zeiten stagnierender oder rückläufiger Realwirtschaft müssen Preise steigen, um den Eindruck wirtschaftlicher Expansion aufrechtzuerhalten. Doch diese Preissteigerungen entwerten das Vermögen der breiten Bevölkerung und verstärken die Umverteilung zugunsten von Kapitalbesitzern. Parallel wächst die politische Versuchung, soziale Spannungen mit neuen Staatsausgaben zu beruhigen – also mit Geld, das ebenfalls über Schulden geschaffen wird. Genau diese Zyklen führen mittelfristig zu einer Situation, in der die Schuldenberge stärker wachsen als die reale Wirtschaftsleistung, während die Bevölkerung sinkt. Eine Kombination, die historische Systeme regelmässig an ihre Grenzen brachte oder direkt in eine Währungsreform bzw. einen staatlichen Schuldenschnitt führte.

3. Hauptteil – Vertiefte Analyse, Einordnung und Lösungsansätze

3.1 Die demografische Kippstelle: Weniger Menschen, mehr Last

Der demografische Wandel verändert nicht nur die Bevölkerungsstruktur, sondern das Fundament unserer wirtschaftlichen Ordnung. In der Vergangenheit stützte sich Wachstum auf eine stetig wachsende Erwerbsbevölkerung. Mehr Menschen bedeuteten mehr Konsum, mehr Innovation, mehr Nachfrage nach Krediten und damit mehr Geldschöpfung. Heute dreht sich dieser Trend um. Die Schweiz steht zwar besser da als viele Nachbarländer, doch auch hier sinken die Geburtenraten kontinuierlich, während die Lebenserwartung steigt. Die demografische Pyramide kehrt sich zunehmend um: immer mehr ältere Menschen, immer weniger junge.

Weniger Erwerbstätige bedeuten weniger Wertschöpfung pro Kopf, wenn nicht gleichzeitig massive Produktivitätsgewinne erzielt werden. Gleichzeitig steigen die Kosten für Rente, Pflege und Gesundheit. In einem kreditbasierten Geldsystem verstärkt dieser Trend jedoch vor allem eines: die finanzielle Last verlagert sich auf immer weniger Schultern. Die verbleibenden Erwerbstätigen müssen nicht nur das Sozialsystem tragen, sondern auch die steigenden Schuldzinsen eines Systems, das sich durch Kreditvergabe selbst erhält. Die demografische Entwicklung wird so zur ökonomischen Kippstelle.

3.2 Exponentielles Geldsystem vs. endliche Realwirtschaft

Unser Geldsystem basiert auf einem einfachen, aber folgenreichen Mechanismus: Geld entsteht durch Kreditvergabe. Jede Buchgeldschöpfung führt zu einer Schuld auf der Aktivseite der Bankbilanz und einem Guthaben auf der Passivseite. Durch Zins und Tilgung entsteht ein struktureller Wachstumsdruck. Die Wirtschaft muss ständig expandieren, um die Bedienung der Schulden zu ermöglichen. Doch exponentielles Wachstum ist in einer endlichen Welt unmöglich – und in einer schrumpfenden Bevölkerung erst recht.

Während die Realwirtschaft zunehmend an physische und ökologische Grenzen stösst, wächst die Finanzwirtschaft weiter. Dies führt zu steigenden Vermögenswerten – Aktien, Immobilien, Beteiligungen –, die oft nicht durch reale Wertschöpfung gedeckt sind. Je stärker die Realwirtschaft stagniert, desto stärker wächst der Druck, diese Vermögenspreise künstlich zu stabilisieren. Die Zentralbanken reagieren mit tiefen Zinsen, Liquiditätsspritzen oder geldpolitischen Sondermassnahmen. Das verlagert die strukturellen Probleme jedoch nur in die Zukunft. Das exponentielle Geldsystem verlangt Expansion, doch die Realität liefert Stagnation.

3.3 Inflation als „Notlösung“ – und als verdeckte Umverteilung

Inflation dient in diesem Umfeld als Ventil. Wenn die Wirtschaft nicht ausreichend wächst, müssen Preise steigen, um nominale Expansion zu erzeugen. Inflation ist daher nicht nur ein Nebeneffekt der Politik, sondern ein systemischer Mechanismus zur Stabilisierung des kreditbasierten Geldsystems. Doch sie wirkt wie eine schleichende Enteignung. Ersparnisse verlieren an Wert, während Sachwerte profitieren. Wer als Arbeitnehmer sein Einkommen überwiegend in CHF erhält, verliert real, während Eigentümer von Immobilien oder Finanzvermögen relativ gewinnen.

In einer alternden Gesellschaft trifft diese Entwicklung besonders viele Menschen, deren Einkommen nicht mehr mit der Inflation Schritt halten kann – Rentner, Geringverdiener, Teilzeitbeschäftigte. Aber auf zwischen den Generationen tut sich die Vermögensschere auf. Das ältere Einfamilienhau steigt im Wert so stark, dass es für die nächste Generation auf einem unerschwinglichen Preisniveau ist. Die Inflation sorgt dafür, dass trotz sinkender Bevölkerung und rückläufiger Konsumnachfrage weiterhin ein nominales Wachstum simuliert wird. Sie wirkt wie ein Korrektiv, das den Mangel an realem Wachstum kaschiert. Die Konsequenz ist jedoch ein tiefgreifender Verlust an Kaufkraft und damit an Vertrauen in das Geldsystem selbst.

3.4 Zins und Vermögenskonzentration: Die mathematische Konsequenz

Der Zinsmechanismus führt zwangsläufig zu einer Konzentration von Vermögen. Wer Kapital besitzt, erhält Renditen, die unabhängig von seiner Arbeitsleistung wachsen. Kapital wächst exponentiell, Einkommen hingegen linear. In einer schrumpfenden Bevölkerung verschärft sich dieser Effekt zusätzlich. Wenn die Wirtschaftsleistung pro Kopf sinkt oder stagniert, steigen die Einkommen nicht ausreichend, um die Vermögenszuwächse auszugleichen. Das führt dazu, dass der Anteil der Bevölkerung, der sich Konsum leisten kann, kleiner wird.

Langfristig entsteht ein Zweiklassensystem: eine Minderheit an Kapitalbesitzern und eine Mehrheit an Menschen, die real zurückfallen. Dieser Prozess ist struktureller Natur und verstärkt soziale Spannungen. Historisch betrachtet waren solche Phasen oft Vorläufer gesellschaftlicher Verwerfungen. Die politische Antwort darauf ist häufig der Versuch, mit neuen Geldflüssen auszugleichen – Subventionen, Sozialleistungen, Steuererleichterungen. Doch das Geld dafür muss geliehen werden, womit der Kreislauf erneut beginnt.

3.5 Politische Gegenmassnahmen: Mehr Geld, das nicht da ist

Statt die strukturellen Ursachen zu adressieren, wird oft versucht, Symptome mit Geld zu dämpfen. Doch ein Schrumpfungssystem lässt sich nicht dauerhaft mit Expansionsmassnahmen stabilisieren. Die Schulden steigen, während die Tragfähigkeit sinkt. In der Schweiz zeigt sich dieser Trend subtiler als in umliegenden Ländern, doch der Mechanismus ist derselbe: Die Staatsausgaben wachsen schneller als die reale Wirtschaftsleistung. Gleichzeitig nimmt die politische Versuchung zu, über „Helikoptergeld“, Energiekostenzuschüsse, Mietentlastungen oder gross angelegte Infrastrukturprogramme kurzfristige Ruhe zu erkaufen.

Diese Mittel mögen in Krisen sinnvoll sein, doch sie lösen das Grundproblem nicht: Zu viele Lasten, zu wenige Schultern. Ein System, das auf immer neue Schulden angewiesen ist, gerät in einer schrumpfenden Bevölkerung zwangsläufig an Grenzen. Die Frage ist nicht mehr, ob diese Grenzen erreicht werden – sondern wann.

3.6 Die Schweizer Vollgeld-Initiative: Ein früher Blick in die Zukunft

Die Vollgeld-Initiative wurde 2018 von vielen als exotisches Experiment abgetan. Doch sie stellte eine fundamentale Frage, die heute relevanter denn je ist: Soll Geldschöpfung an Kreditvergabe gekoppelt bleiben? Oder sollte Geld wie ein öffentliches Gut behandelt werden, dessen Erzeugung nicht von privaten Geschäftsbanken abhängt, sondern demokratisch kontrolliert und ev. sogar dem Gemeinwohl verpflichtet ist?

Kritiker bemängelten damals, dass Vollgeld das Kreditsystem gefährde oder die Nationalbank überlaste. Doch das eigentliche Ziel war ein anderes: ein Geldsystem zu schaffen, das ohne exponentielle Kreditexpansion auskommt. Ein System, das auch dann stabil bleibt, wenn die Bevölkerung schrumpft und die Kreditnachfrage sinkt. Ein System, das Inflation nicht mehr als obligatorisches Ventil braucht. Und ein System, das Umverteilung über Zinsen reduziert, statt verstärkt. Die Initiative war nicht perfekt, aber sie war ein frühes Symptom dafür, dass grundlegende Reformen notwendig werden.

3.7 Wege aus dem Dilemma – einige Möglichkeiten

Wenn ein kreditbasiertes Geldsystem auf eine schrumpfende Bevölkerung, geringere private Kreditaufnahme und stagnierende Investitionen trifft, geraten Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in ein strukturelles Dilemma: Das System benötigt neue Schulden, um stabil zu bleiben – doch immer weniger Akteure können oder wollen sie aufnehmen. Der Ausweg aus dieser Dynamik liegt daher nicht in kosmetischen Reformen, sondern in grundsätzlichen, teils unkonventionellen Ansätzen, die das Verhältnis zwischen Geld, Schulden und wirtschaftlicher Aktivität neu ordnen.

Ein möglicher Weg ist der gezielte staatliche Schuldenaufbau, allerdings nicht im Sinne kurzfristiger Konjunkturprogramme, sondern als langfristige, aktive Stabilisierung des Geldkreislaufs. Wenn private Haushalte und Unternehmen aus demografischen Gründen keine ausreichende Kreditnachfrage generieren, kann der Staat als Kreditnehmer einspringen und Investitionen tätigen, die der Volkswirtschaft ohnehin zugutekommen: Infrastrukturmodernisierung, Digitalisierung, Bildung, Gesundheitswesen oder Energieversorgung. In einem Umfeld niedriger oder negativer Realzinsen kann dies sogar effizienter sein, als auf private Kreditinitiativen zu warten, die strukturell ausbleiben. Langfristig müssen für Schulden aber Zinsen bezahlt werden, also kann dies, im beschriebenen Umfeld, keine funktionierende Lösung sein.

Noch weiter geht die Idee einer permanenten staatlichen Defizitrolle, wie sie in der Modern Monetary Theory (MMT) angedacht wird. Dabei übernimmt der Staat bewusst eine dauerhafte Verschuldungsposition, um die fehlende private Nachfrage zu ersetzen. Ein solches Modell funktioniert jedoch nur, wenn es klare institutionelle Grenzen gibt, etwa eine abgestimmte Finanz- und Geldpolitik oder Regeln, die eine Überhitzung verhindern. Es ist also kein Freipass für „Geld drucken“, sondern ein struktureller Umbau der Rollen im Geldsystem. Auch bei diesem Ansatz wird die Geldmenge über Ausgaben des Staates dauernd erhöht.

Eine dritte, oft diskutierte Möglichkeit sind Helikoptergeld-Modelle oder direkte Zentralbanktransfers an Haushalte. Statt dass neues Geld über Kreditvergabe entsteht, könnten Notenbanken neue Zahlungsmittel unmittelbar in den Wirtschaftskreislauf leiten – unabhängig von Kreditnachfrage. Solche Instrumente wären besonders hilfreich, wenn die Bevölkerung schrumpft und die kreditfähigen Haushalte zahlenmässig zurückgehen. Allerdings müsste ein solches Vorgehen klar reglementiert werden, um Vertrauensverlust und inflationäre Übersteuerung zu vermeiden. Dies wäre etwas ähnliches wie heute mit der Rückvergütung der Umweltabgaben über die Grundversicherung der Krankenkasse in der Schweiz. Für 2026 beträgt dieser Betrag CHF 61.80. Ein Verteilungsmechanismus ist also bereits vorhanden, sollte einmal Bedarf an einer solchen Lösung bestehen.

Ein vierter Ansatz setzt bei der Vereinfachung und Flexibilisierung von Kreditvergaben an. Wenn Banken durch strengere Regulierung (z. B. Basel III/IV) weniger Kreditrisiken eingehen dürfen, trifft dies alternde Gesellschaften besonders stark. Eine differenzierte Regulierung, die zwischen konsumtiven und produktiven Krediten unterscheidet, könnte Investitionen fördern, ohne die Finanzstabilität zu gefährden. Hier geht es weniger um „mehr Risiko“, sondern um intelligenter verteiltes Risiko.

Ein weiterer möglicher Ausweg liegt in der Migration als makroökonomischer Stabilisator. Zuwanderung jüngerer, kreditfähiger Bevölkerungsgruppen kann den strukturellen Rückgang der Kreditnachfrage verlangsamen oder teilweise ausgleichen. Allerdings ist dies politisch umstritten und langfristig nur ein Baustein, kein Allheilmittel. Vor allem müsste sichergestellt sein, dass die Zuwanderer auch etwas zur Wirtschaft beitragen wie dies bei den Einwanderungsverfahren z.B. nach Kanada gemacht wird.

Schliesslich gibt es auch die Option, das Geldsystem selbst zu modernisieren – beispielsweise durch digitale Zentralbankwährungen (CBDCs), die neue Steuerungsmechanismen eröffnen: zeitlich begrenztes Geld, gezielte Konsumanreize, automatische Stabilisationsprogramme oder sektorale Liquiditätsgaben. Solche Technologien könnten helfen, die Abhängigkeit von privater Kreditvergabe zu reduzieren und Geldpolitik direkter, präziser und weniger bankenabhängig zu gestalten. Gleichzeitig besteht hier aber die grosse Gefahr, dass die Menschen durch das System massiv bevormundet in ihrem wirtschaftlichen Handeln werden

Keiner dieser Wege ist für sich allein ein vollständiger Ausweg aus dem Dilemma. Doch gemeinsam zeigen sie: Der Handlungsspielraum ist grösser, als es auf den ersten Blick scheint. Die Frage lautet nicht, ob das kreditbasierte System angesichts des demografischen Wandels reformiert werden muss – sondern wie tiefgreifend diese Reformen ausfallen sollen. Nur wer bereit ist, über traditionelle geldpolitische Denkweisen hinauszugehen, wird in der Lage sein, die strukturellen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte erfolgreich zu meistern.

3.8 Lösungsansätze für ein Geldsystem ohne positive Verzinsung der umlaufenden Geldmenge

Die Idee eines Geldsystems ohne positive Verzinsung – also ohne strukturellen Wachstumszwang – ist nicht neu. In verschiedenen Epochen und Denkströmungen wurde versucht, Geld so zu gestalten, dass es als neutrales Tauschmittel dient, nicht als Spekulationsobjekt oder Renditemaschine. Im Zentrum steht dabei stets ein Prinzip: Geld soll zirkulieren, nicht gehortet werden. Es soll Zahlungsmittel, nicht selber Warenersatz sein. Die folgenden Modelle zeigen unterschiedliche Wege, wie dies gelingen könnte. Und in einem Umfeld mit schrumpfender Bevölkerung muss darüber nachgedacht werden, wie ein Geldsystem geschaffen sein müsste, damit es überhaupt dauerhaft funktionieren kann.

a) Die Brakteatenzeit – Umlauf sichern durch Abschmelzen

Im Hochmittelalter prägten viele Regionen sogenannte Brakteaten: dünne Silberpfennige, die jährlich zu einem ungünstigen Kurs „verrufen“ und gegen neue Münzen eingetauscht werden mussten. Dieser erzwungene Umlauf sorgte dafür, dass Geld nicht gehortet, sondern ausgegeben oder investiert wurde. Der Effekt: hohe wirtschaftliche Aktivität, stabile Preise, florierende Städte. Die Brakteatenzeit gilt daher als eines der produktivsten Epochenmodelle einer „abnutzenden“ Währung. Die grossen Kathedralen wurden in dieser Zeit gebaut. Es gab in dieser Zeit auch nur eine so grosse Geldmenge, wie für den Handel benötigt. Dies da das Halten von Geld systembedingt durch das, manchmal jährliche „verrufen“ bestraft wurde.

b) Silvio Gesell – Freiwirtschaft und umlaufgesichertes Geld

Der deutsch-argentinische Kaufmann Silvio Gesell entwickelte Anfang des 20. Jahrhunderts ein theoretisch konsistentes Modell: Geld sollte mit einer kleinen Gebühr belegt werden – einer „Umlaufsicherungsgebühr“ oder „Negativverzinsung“. Dadurch würde Geld wie Ware behandelt: Lagerung kostet. Gesell wollte Spekulation verhindern, Investitionen ankurbeln und die Realwirtschaft stärken. Seine Theorie beeinflusste später Keynes und gilt bis heute als Basis alternativer Währungsmodelle.

c) Humane Marktwirtschaft nach Peter Haisenko

Peter Haisenko knüpft an Gesell an, erweitert das Modell aber um eine ethische Dimension. In seiner „Humanen Marktwirtschaft“ bleibt privates Eigentum bestehen, doch Geld erhält keinen strukturellen Renditeanspruch mehr. Banken dürfen nur noch als Dienstleister agieren, und Kapital soll nicht mehr durch Zinseszins wachsen. Ziel ist eine Wirtschaft, die Innovation belohnt, aber Überakkumulation verhindert. Der Mensch – nicht das Kapital – steht im Mittelpunkt der Ordnung.

d) Das Aschberger Modell

Das weniger bekannte Aschberger Modell verfolgt einen ähnlichen Ansatz: Geld verliert bei Nichtnutzung an Wert. Allerdings kombiniert Aschberger diese Umlaufsicherung mit einem regionalen Stabilisierungskonzept, das Spekulation auf Boden, Immobilien oder knappe Güter eindämmen soll. Dadurch soll verhindert werden, dass Kapitalflucht oder Vermögenskonzentration die Wirtschaft destabilisiert. Gleichzeitig soll durch Kooperation statt Konkurrenz überinvestition verhindert werden.

e) Freigeld nach Silvio Gesell – praktische Experimente

Gesells Theorie wurde mehrfach praktisch erprobt – am berühmtesten 1932 im österreichischen Wörgl, wo eine Gemeinde während der Weltwirtschaftskrise ein umlaufgesichertes „Arbeitsbestätigungsgeld“ ausgab. Das Ergebnis: produktive Investitionen, sinkende Arbeitslosigkeit, steigende Steuereinnahmen. Das Experiment war so erfolgreich, dass es staatlich gestoppt wurde. Es gilt als Beweis dafür, dass umlaufgesichertes Geld reale wirtschaftliche Effekte entfalten kann. Eine damalige Besonderheit war, dass keiner aus Angst vor noch schlechteren Zeiten Geld ausgeben wollte. Gleichzeitig hatten alle bei allen Schulden. In diesem Umfeld erreichte das lokale Ersatzgeld eine extrem hohe Umlaufgeschwindigkeit was dann auch zu einem lokalen Aufschwung führte. Dieser brach nach dem Verbot des Ersatzgeldes sofort wieder zusammen.

4. Schlussfolgerung und Ausblick – Warum jetzt handeln entscheidend ist

Die Verbindung aus schrumpfender Bevölkerung, wachsender Staats- und Privatverschuldung, einer alternden Gesellschaft und einem kreditbasierten Geldsystem ist kein theoretisches Problem, sondern eine strukturelle Realität, die sich bereits heute abzeichnet. Viele Symptome – Leistungsdruck auf die Politik, verdeckte Enteignung durch Inflation, zunehmende Vermögenskonzentration, sinkende soziale Mobilität und wachsende gesellschaftliche Spannungen – sind Ausdruck derselben Grunddynamik: Ein exponentiell wachsendes Geldsystem trifft auf eine Welt, die physisch, ökologisch und demografisch nicht unbegrenzt wachsen kann.

Je länger diese Widersprüche ignoriert werden, desto höher werden die Kosten künftiger Anpassungen. Denn was heute als abstrakte geldtheoretische Debatte erscheint, wird morgen zu einer politischen Frage und übermorgen zu einer sozialen: Wer trägt die Last? Wer profitiert vom System, wer verliert? Und wie viel gesellschaftlichen Zusammenhalt können wir uns leisten, wenn immer grössere Teile der Bevölkerung real weniger Teilhabe erfahren?

Doch trotz der Brisanz gibt es Grund zur Zuversicht. Die Analyse zeigt klar: Das Dilemma ist menschengemacht – und damit auch lösbar. Wir verfügen über Instrumente, mit denen sich die Abhängigkeit von privater Kreditvergabe reduzieren lässt. Wir können staatliche Finanzierung neu denken, produktive Investitionen fördern, systemische Fehlanreize korrigieren und technologische Innovationen nutzen, um Geldschöpfung stabiler und gerechter zu gestalten. Die Schweiz hat aufgrund ihrer politischen Struktur, ihres hohen Vertrauens in Institutionen und ihrer wirtschaftlichen Stärke sogar besonders gute Voraussetzungen, diese Debatte offen, sachlich und zukunftsorientiert zu führen.

Entscheidend ist jedoch eines: Die Diskussion muss jetzt beginnen.
Nicht erst, wenn die Sozialwerke finanziell kippen. Nicht erst, wenn Immobilienmärkte dauerhaft stagnieren oder gar die Preisblase platzt. Und nicht erst, wenn die nächste Krise uns zu hektischen Notmassnahmen zwingt. Ein nachhaltiges, demografieresilientes Geld- und Wirtschaftssystem entsteht nur, wenn wir es bewusst gestalten – nicht, wenn wir es passiv gegen die Wand laufen lassen.

Darum der Aufruf: Sprechen Sie darüber.
Mit Freunden, Kollegen, Unternehmern, Ökonomen, Politikern. Je mehr Menschen verstehen, wie fundamental die Zusammenhänge zwischen Demografie, Schulden, Geldschöpfung und Inflation sind, desto grösser wird die Bereitschaft, neue Lösungswege zuzulassen – auch solche, die heute noch unkonventionell erscheinen.

Die Zukunft unseres Wohlstands wird nicht durch mehr Konsum entschieden, sondern durch mehr Verständnis. Und dieses Verständnis beginnt mit einem offenen, ehrlichen Blick auf unser Geldsystem – heute.

Zinszahlungen als Geldumverteilung

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