Ökonomie-Nobelpreis für eine überholte Geldtheorie, die riesige Schäden angerichtet hat
Ökonomie-Nobelpreis für eine überholte Geldtheorie, die riesige Schäden angerichtet hat
Im Handelsblatt habe ich erklärt, warum es eine längst überholte und schädliche Theorie ist, die von der Schwedischen Akademie der Wissenschaften mit dem Alfred-Nobel-Gedächtsnispreis für Ökonomie und gut 900.000 Euro prämiert wurde. Gestiftet wurde der Preis von der schwedischen Zentralbank als Bollwerk gegen den überbordenden Staat. Entsprechend ist die marktradikale Universität von Chicage eine Top-Preisempfängerin.
Auch diesmal ist mit Douglas Diamond ein Chicago-Ökonom unter den Preisträgern, zusammen mit dem ehemaligen US-Notenbankchef Ben Bernanke und Philip Dybvig. Die drei bekommen den Preis „für ihre Arbeiten zu Banken- und Finanzkrisen“.
In Verdrehung der tatsächlichen Rolle der Banken in einem modernen Bankensystem, in dem die Geldmenge nicht mehr durch die Anzahl der umlaufenden Goldmünzen begrenzt ist, haben die drei eine Theorie vertreten, die die Akademie peinlicher Weise so beschreibt:
„Um zu verstehen, warum eine Bankenkrise so enorme Folgen für die Gesellschaft haben kann, müssen wir wissen, was Banken eigentlich tun: Sie nehmen Geld von den Einlegern entgegen und leiten es an Kreditnehmer weiter.“
In einem reinen Goldwährungssystem könnte man das näherungsweise so sagen. In einem Buchgeldsystem, in dem die Menge des Geldes nicht begrenzt ist, sondern vor allem davon abhängt, wie viel Kredit die Banken geben, ist es einfach nur blühender Unsinn. Das haben schon 2014 die Bank von England und wenig später auch die Bundesbank ausdrücklich klargestellt. Die Bank von England so:
„In diesem Artikel wird erklärt, wie der Großteil des Geldes in der modernen Wirtschaft von Geschäftsbanken geschaffen wird, die Kredite vergeben. Die Geldschöpfung in der Praxis unterscheidet sich von einigen weit verbreiteten Missverständnissen – Banken fungieren nicht einfach als Vermittler, die Einlagen von Sparern ausleihen.“
Die Bundesbank drückt ihren Widerspruch in ihrem digitalen Buch „Geld und Geldpolitik“ so aus:
„Häufig besteht die Vorstellung, dass Buchgeld nur dadurch entsteht, dass Bargeld auf ein Konto eingezahlt wird. Dabei wird aber übersehen, dass Bargeld vorher von einem Konto abgehoben wurde. Das Buchgeld war also vorher schon da. Die Frage ist deshalb, wer das Buchgeld schafft: Es sind die Banken, etwa wenn sie Kredite vergeben.“
Der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger macht die sogenannte Lonable-funds-Theorie, die das Nobelpreisgremium prämiert hat, mitverantwortlich für die vielen und schweren Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte. Er ließ sich dazu im Handelsblatt so zitieren:
„Die Sparer können keine Kreditblase verursachen, über die zu viel Geld in Umlauf kommt. Das können nur Banken im Wege der exzessiven Kreditgewährung. Aber diese Gefahr war wegen einer falschen Geldtheorie nicht richtig auf dem Schirm der Entscheidungsträger.“
Die Preisvergabe ist für ihn so „wie wenn man Ptolemäus mit dem Physik-Nobelpreis für die Erkenntnis ehren würde, dass die Sonne um die Erde kreist“.
In der Realität ist es nämlich so, dass die Banken ihren Kreditnehmern Geld auf dem Konto gutschreiben und damit Einlagen in die Welt setzen, die dann im Bankensystem zirkulieren. Die Einlagen verbriefen das Recht der Einleger, sich den Gegenwert jederzeit bar auszahlen zu lassen. Aber die Banken halten typischerweise nur einen Bruchteil der Einlagensumme als Bargeld vorrätig, in Form von Bargeld oder sogenannten Reserven, Guthaben bei der Zentralbank, die einen Anspruch auf Bargeldauszahlung verbriefen. Nur für diesen Bruchteil sind sie auf die Zentralbank angewiesen, die über die Zinsen darauf versuchen kann, die Geldausweitung durch die Banken zu begrenzen.
Aber in der Praxis funktioniert das sehr schlecht. Zudem fehlt den Zentralbanken in Zeiten wirtschaftlicher Expansion bei mäßiger Inflation der Wille dazu, auch weil die Loanable-funds-Theorie das Problem vernebelt.
Warum die völlig überholte Theorie der Preisträger sich so lange halten konnte und bis heute die Lehrbücher und die wissenschaftlichen Aufsätze zu Geld und Banken dominiert, erahnt man nach der Lektüre eines per Pressemitteilung verbreiteten Kommentars von Professor Dr. Sascha Steffen von der Frankfurt School of Finance & Management:
„Ich begrüße sehr, dass die Royal Swedish Academy of Sciences mit dieser Entscheidung die große Bedeutung von Banken in unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt gerückt hat. Sie sind zentral für die Transmission von Geldpolitik, finanzieren den Großteil aller Unternehmen weltweit und werden in den Zukunftsthemen wie Klimawandel, Digitalisierung und Infrastruktur/Transformation eine wichtige Rolle spielen.“
Die Theorie kommt den Banken und der Finanzbranche insgesamt sehr gut zu pass. Und diese übt nun einmal einen sehr großen Einfluss auf die Ökonomen und auf die Zentralbanken aus.
Die EZB macht den Unsinn bis heute mit
In dem am 21. Juli auf der Netzseite der Europäischen Zentralbank (EZB) veröffentlichten und am 23. November aktualisierten Beitrag „We have raised interest rates. What does that mean for you?“ stellt die Notenbank fest, dass die erste Zinserhöhung seit elf Jahren im Juli und die größte Zinserhöhung bisher im September dazu beitrügen, die Inflation wieder zu senken. Das unterfüttert sie unter anderem mit einer Erklärung, was Geld sei und wie das Geldsystem funktioniere. Die EZB beantwortet die selbst gestellte Frage: Was ist Geld? folgendermaßen:
„Es ähnelt anderen Waren und Dienstleistungen. Wenn zum Beispiel viele Leute Brot kaufen wollen, aber es nicht genug davon gibt, steigt der Preis.“
Zu Zeiten, als man mit Goldmünzen bezahlte und nur so viele Goldmünzen in Umlauf waren, wie man Gold mühsam aus der Erde holte, konnte man das zur Not noch so sehen und vereinfacht so erklären. Doch damit hat unser heutiges Geldsystem nichts mehr gemein. Wenn Banken Geld schaffen können, indem sie Kredit vergeben, ist Geld nicht „knapp“ wie eine Ware knapp ist.
Die EZB behauptet zwar nicht ausdrücklich, dass die Banken die Einlagen der Kunden an Investoren weiterreichten. Aber ihre Erklärungen dessen, was die Banken machen, sind – ganz im Gegensatz zum hohen Allgemeinverständlichkeits-Anspruch des übrigen Textes – so geheimnisvoll und voller Jargon, dass man sie bestenfalls mit Ökonomiestudium verstehen kann. Durch die irreführende Erläuterung von Geld lädt sie dazu ein, die Verständnislücke mit dem falschen Modell aus den Lehrbüchern zu füllen.
Ich will nicht im Einzelnen nachzeichnen, wie die EZB auf Basis dieser irreführenden Erklärung des Geldes erläutert, wie die Geldpolitik angeblich funktioniert. Es endet damit, dass ein Kai aus der Kiste hüpft und alles klärt. Er heißt Erwartungstheorie der Inflation.
Was die EZB und auch die Bundesbank nicht in Betracht ziehen, jedenfalls nicht öffentlich, ist der wichtige Unterschied zwischen Geld, das in der Finanzbranche zirkuliert und dort die Preise für Aktien und andere Vermögenswerte nach oben treibt, und Geld, das der produzierenden Wirtschaft zur Verfügung gestellt wird. Ob die Banken Kredit für Investitionen in zusätzliche Produktion geben (das ist der kleinste Teil), oder für Konsumentenkredite, oder aber für den Kauf von Verfügungsrechten über Vermögen, wie Aktien, Anleihen oder bestehende Immobilien, wird statistisch genau erfasst. Aber die Zentralbanken machen nichts mit diesem Wissen, obwohl die Wirkung der verschiedenen Kreditarten sehr unterschiedlich ist. Ganz grob gesprochen: Ausweitung der Kredite für Finanz- und Immobilienanlagen treibt die Vermögenspreise in die Höhe, mehr Konsumentenkredite führen zu mehr Inflation, mehr Investitionskredite führen zu höherer Produktion und höherer Nachfrage, mit offenem Nettoeffekt auf die Inflation.
Solange die Notenbanken die Idee von sich weisen, zu steuern, in welchem Umfang die Banken Geld für welche dieser Kreditarten bereitstellen, bleibt es bei einer wenig wirksamen Geldpolitik, die sich im wesentlichen darauf beschränkt, die Aktienmärkte vor einem Einbruch zu bewahren, und – soweit unter diesem Hauptziel noch Zinserhöhungen möglich sind – zur Inflationsbekämpfung die Arbeitnehmer per Beschäftigungsdrosselung davon abzuhalten, höhere Löhne zu fordern.
Auch hier kommt man mit der Frage: Cui bono? (Wem dient es?) ziemlich weit. In erster Linie dem Finanzsektor, in zweiter Linie den Kapitalbesitzern im Allgemeinen.
P.S. (11.10): Es ist nicht das erste Mal, dass das Nobelpreiskomitee mit einem Preis für einen Chicago-Ökonomen tief ins Klo gegriffen hat. 2013, als die westliche Welt noch schwer unter der Finanzkrise von 2008/09 litt, prämierte sie Eugen Fama. Der vertrat und vertritt die spätestens damals als völlig abseitig entlarvte These von den völlig rationalen Finanzmärkten, die jede vorhandene Information so gut verarbeiten, wie es nur geht. Aus seiner prämierten Sicht kann es daher keine (von den Banken aufgeblasenen) Blasen an den Wertpapiermärkten geben, die zu einer großen Krise wie 2009/09 führen können. Mit ihm prämiert wurde Robert Shiller, ein berühmter und früher Warner vor den schlimmen Konsequenzen der Aktien- und Immobilienmarktblase, als diese von den Banken aufgeblasen wurde..
Man sieht, das Nobelpreiskomitee ist völlig schmerzfrei hinsichtlich eines möglichen Reputationsverlustes aufgrund von fachlich unsinnigen (lobby-)politisch motivierten Preisentscheidungen.
Dieser Artikel wurde zuerst auf dem Blog Norbert Häring veröffentlicht.
Autor: Norbert Häring
Bild: Nenat Milosevic