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Sollte der US Kongress das Defizit senken, um die Inflation zu bekämpfen?

Sollte der US Kongress das Defizit senken, um die Inflation zu bekämpfen?

Letzten Monat war ich in Brüssel auf einer Kundenveranstaltung. Anstatt wie üblich eine Grundsatzrede zu halten, führte ich ein Gespräch mit einem der leitenden Marktanalysten des Kunden. Er stellte mir sieben Fragen und moderierte dann eine längere Fragerunde mit dem Publikum. Das war ein grosser Spass.

Da es sich um eine private Veranstaltung handelte, gibt es leider keine Aufzeichnung, die ich mit Ihnen teilen kann. Aber ich dachte, die Fragen - und meine Antworten - könnten von Interesse sein. Um zu vermeiden, dass ich einen wirklich langen Beitrag schreibe, habe ich beschlossen, ihn in eine siebenteilige Serie aufzuteilen.

Ich werde heute die erste Frage beantworten, aber hier ist schon einmal eine Vorschau auf das, was noch kommt.

Frage 1:

Sie sagen, dass ein Defizit zu gross sein kann und dass die Inflation ein Anzeichen für ein zu grosses Defizit sein könnte. Ist das aktuelle Defizit zu gross? Wenn das der Fall ist, sollte der Kongress dann nicht sofortige Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen beschliessen? Wäre das politisch möglich?

Frage 2:

Wenn der Kongress nicht in der Lage ist, die Fiskalpolitik zu straffen, weil die Akzeptanz gering ist oder eine politische Pattsituation besteht, bedeutet dies dann, dass unabhängige Zentralbanken besser in der Lage sind, die Inflation zu bekämpfen?

Frage 3:

Die MMT strebt eine niedrige Arbeitslosenquote an. Besteht dabei die Gefahr, dass sich die Investitionen nicht ausreichend rentieren?

Frage 4:

Regierungen können Geld aus dem Nichts erschaffen, um ihre Investitionen zu finanzieren. Hat die Pandemie diese Wahrheit ans Licht gebracht und einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen? Werden die Menschen jetzt nicht mehr Kreditaufnahme erwarten, um ihre Gehaltserhöhungen und/oder ihren Konsum zu bezahlen?

Frage 5:

Wie viel Staatsverschuldung ist zu viel? Sind nur die USA von der Schuldenobergrenze ausgenommen?

Frage 6:

Ist mehr Inflation willkommen, um die Überschuldung auszugleichen?

Frage 7:

Sollte die Regierung Ihrer Meinung nach die Zinssätze festlegen - wo würden Sie die Zinssätze im Jahr 2022 sehen?


Frage 1: Sie sagen, dass das Defizit zu gross sein kann und dass die Inflation ein Beweis für ein zu grosses Defizit sein könnte. Ist das Defizit zu gross? Wenn das der Fall ist, sollte der Kongress dann nicht sofortige Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen beschliessen? Wäre das politisch möglich?

Lassen Sie uns mit dem ersten Teil der Frage beginnen. Es ist sicherlich richtig, dass die Staatsdefizite zu hoch sein können. Kein MMT-Ökonom hat das je bestritten.¹ Wir haben von Anfang an argumentiert, dass im Gegensatz zu den herkömmlichen Argumenten über Haushaltsdefizite und fiskalische Nachhaltigkeit die Inflation die relevante Beschränkung der Staatsausgaben ist.²

Der MMT-Ökonom L. Randall Wray sagte dazu 2009:

«Es wäre eindeutig inflationär, das Defizit über das zur Erreichung der Vollbeschäftigung erforderliche Niveau hinaus zu erhöhen. Aber bis zum Erreichen der Vollbeschäftigung sind Defizite nicht unbedingt inflationär. Dennoch muss sich die Politik über Engpässe und andere strukturelle Probleme im Klaren sein, die schon vor der Vollbeschäftigung zu Inflation führen können.»

Hierzu gibt es drei Punkte:

  1. Wenn in der Wirtschaft ungenutzte Kapazitäten vorhanden sind - d.h. arbeitslose Arbeitskräfte, ungenutzte oder nicht ausgelastete Fabriken und Anlagen sowie leicht verfügbare Rohstoffe - sind Staatsdefizite nicht per se inflationär (z.B. 2000-2020)

  2. Die Inflation kann sich bereits beschleunigen, bevor die Wirtschaft ihre Kapazitätsreserven ausgeschöpft hat (z. B. 2021)

  3. Staatsdefizite, die versuchen, eine Wirtschaft über die Vollbeschäftigung hinaus zu treiben, treiben die Preise in die Höhe (z. B. Zweiter Weltkrieg).

Diese Punkte sind nicht umstritten, auch nicht unter den Mainstream-Ökonomen. Dennoch gehen sie im öffentlichen Diskurs oft unter. So ist es nicht ungewöhnlich, dass Gesetzgeber, Medienexperten und andere Kommentatoren Defizite als "Beweis für übermässige Ausgaben" bezeichnen, als ob sie von Natur aus eine höhere Inflation mit sich brächten.³ Es ist also wichtig, sich daran zu erinnern, dass Staatsdefizite (selbst grosse) über längere Zeiträume hinweg neben einer niedrigen Inflation (oder sogar einer regelrechten Deflation) bestehen können. Das war in den letzten drei Jahrzehnten in Japan der Fall.⁴

Und bis COVID über die Welt hereinbrach, war dies auch die Erfahrung der USA (ohne die Deflation). Wie Japan hatten auch die USA jahrzehntelang anhaltende (und oft steigende) Haushaltsdefizite, die kaum Druck auf die Inflation ausübten. Selbst als das Defizit in Folge der Grossen Rezession auf über 10 Prozent anstieg, lag die von der Fed bevorzugte Kennzahl zur Messung der Inflation - der PCE-Kernwert - zwischen 2009 und 2019 im Durchschnitt bei nur 1,6 Prozent.

Die MMT fordert uns also auf, über die Produktionskapazität der Wirtschaft nachzudenken, wenn wir über die Grenzen der Ausgaben sprechen. Und es erinnert uns daran, dass die Staatsausgaben nur eine Komponente der Gesamtausgaben sind. Jede Beanspruchung der Produktionskapazität einer Volkswirtschaft durch Staatsausgaben muss zusammen mit dem Verbrauch der privaten Haushalte, den Unternehmensinvestitionen und den Nettoexporten betrachtet werden. Die Gesamtnachfrage im Verhältnis zur Produktionskapazität ist ausschlaggebend für die so genannte «Überhitzung». Wenn die Nachfrage zu stark gedrosselt (demand leakage) wird, können selbst grosse Haushaltsdefizite die Inflation nicht mehr ankurbeln.

Um auf die Frage zurückzukommen, lautet die Antwort: Ja. Haushaltsdefizite können zu gross sein, und Inflation kann ein Zeichen für ein zu grosses Defizit sein. Das heisst aber nicht - und das ist wirklich wichtig -, dass jeder Anstieg der Inflation de facto ein Beweis für ein zu hohes Defizit ist. Staatsdefizite sind nur eine mögliche Quelle für Inflationsdruck. Es ist immer möglich, dass der Verbraucherpreisindex aus Gründen steigt, die nichts mit Schwankungen des Haushaltsdefizits zu tun haben.⁵ Meiner Ansicht nach hatte der viel gescholtene American Rescue Plan (ARP) Act (März 2021), der die Arbeitslosigkeit verringerte und das reale BIP-Wachstum ankurbelte, nur bescheidene Auswirkungen auf die Gesamtinflation. Das haben auch der Chefvolkswirt und sein Team bei Moody's Analytics festgestellt.

Selbst wenn Sie glauben, dass der ARP viel zu gross war, ist die Realität, dass das Congressional Budget Office (CBO) gerade bekannt gegeben hat, dass das Haushaltsdefizit im Jahr 2022 voraussichtlich auf 1 Billion Dollar schrumpfen wird, gegenüber 2,8 Billionen Dollar im letzten Jahr. Das ist der schnellste Einbruch des Haushaltsdefizits, den ich je erlebt habe.

Im März 2022 kommentierte ich die Angelegenheit wie folgt:

«Das rasch schrumpfende Staatsdefizit wirkt sich negativ auf die Wirtschaft aus. Es gefährdet den Aufschwung allerdings nicht, denn die Nachfrage des privaten Sektors war stark genug, um die fiskalische Rosskur mehr als auszugleichen. Dennoch ergaben die kumulierten Auswirkungen der verschiedenen Ebenen der Finanzpolitik (local-, state-, federal level) einen Rückgang des BIP-Wachstum im vierten Quartal 2021 um schätzungsweise 3,3 Prozentpunkte. Biden sollte sich davor hüten, aktiv zu versuchen, das Defizit noch schneller zu senken.»

Seitdem haben wir eine Abschwächung auf dem Arbeitsmarkt, einen starken Rückgang bei den Verkäufen neuer Häuser und einige zunehmend beunruhigende Einzelhandelsdaten gesehen.

Sollte der Kongress also mit dem Weissen Haus zusammenarbeiten, um sofortige Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen zu beschliessen, um die Inflation zu senken? Nein. Es gibt bereits mehr als genug fiskalische Sparmassnahmen.⁶ Was jetzt gebraucht wird, ist eine fortgesetzte Konzentration auf die Reparatur von Versorgungsketten, eine konzertierte Anstrengung, um Impfstoffe in Länder mit niedrigen Impfraten zu bringen, eine Lösung für den Krieg in der Ukraine, Strategien zur Senkung der Gaspreise und ein Plan zur Sicherung der weltweiten Nahrungsmittelversorgung angesichts der drohenden Knappheit.

Obwohl ich dem Defizitabbau keine Priorität einräumen würde, hofft das Weisse Haus, mit dem Kongress eine Einigung zu erzielen, die die Steuern um mehr als genug erhöhen würde, um einige der vorgeschlagenen neuen Ausgaben auszugleichen. Ich bin zwar nicht der Meinung, dass wir das Defizit noch weiter abbauen müssen, um die Inflation zu senken, aber der Präsident drängt darauf.

Selbst wenn die Demokraten letztlich nicht für Bidens Plan stimmen, ist es für die Gesetzgeber durchaus möglich, die fiskalische Unterstützung angesichts der hohen Inflation zurückzufahren. Denken Sie daran, dass der Kongress die Finanzpolitik bereits massiv gestrafft hat.


Das Englische Original dieses Beitrags wurde auf Substack publiziert.
Bild:
Pepi Stojanovski
Übersetzung:
Redaktion Forum Geldpolitik


  1. Wenn Sie jemanden sagen hören: "MMT argumentiert, dass es keine Grenzen für Staatsausgaben gibt", tun Sie sich einen Gefallen und gehen Sie weg. Denn es gibt kein sichereres Zeichen dafür, dass Ihr Gegenüber entweder fachlich inkompetent oder ideologisch verblendet ist.

  2. Der Vorbehalt ist, dass es sich um Regierungen handelt, die mit einer souveränen Währung operieren, wie hier erläutert.

  3. Senator Mike Enzi (R-WY) war der Vorsitzende des Haushaltsausschusses des US-Senats, als ich 2015/16 als Chefökonom der Demokraten tätig war. Wie viele Amerikaner interpretierte Senator Enzi die Unausgeglichenheit zwischen Ausgaben und Einnahmen - d. h. das Haushaltsdefizit - als "Beweis für übermässige Ausgaben". Die Regierung sollte, wie er routinemässig erklärte, lernen, "im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu leben".

  4. Falls es Sie interessiert, haben wir darüber geschrieben, wie man die japanische Erfahrung aus einer MMT-Perspektive betrachten kann.

  5. Es ist auch möglich, dass die Inflation selbst bei einem rasch sinkenden Defizit oder einem wachsenden Haushaltsüberschuss ansteigt (oder erhöht bleibt).

  6. Wie ich kürzlich in einem Bloomberg-Podcast unter dem Titel "Odd Lots" dargelegt habe, bricht das Defizit bereits rapide ein. Man muss die Steuersätze nicht erhöhen, um die Steuereinnahmen zu steigern. Die fiskalische Straffung ist bereits eingebaut, zum Teil aufgrund unseres progressiven Steuerrechts (höheres nominales Einkommenswachstum), aber auch, weil viele steuerliche Unterstützungen (erweiterte Kindersteuergutschriften, direkte Barzahlungen usw.), die 2021 noch in Kraft waren, jetzt wegfallen.

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