Regionalwährungen – eine Alternative für Randregionen
Nach der Lektüre des Buches von Dominik Siegrist „Alpenwanderer“ stellte sich mir die Frage, ob Freiland und Freigeld gemäss den Vorstellungen von Silvio Gesell (1) helfen könnten, einen bescheidenen Wohlstand von Rand- Regionen aus eigener Kraft zu gewährleisten um so die Entvölkerung dieser Zonen zu aufzuhalten.
These
Es gab Zeiten, in denen in Alpenregionen, auch ausserhalb von einträglichen Säumer-Routen, die Subsistenzwirtschaft ein – wenn auch karges – Auskommen ermöglichte (2).
Heutzutage ist das nur noch in Ausnahmefällen möglich. Dies liegt – so meine These – daran, dass die Preis- respektive Kaufkraftrelationen zwischen ähnlich werthaltigen Gütern (z.B. lokal produzierte Tessiner Tomaten gegenüber Spanischen Import-Tomaten), durch überregionale Währungen, wie den Euro, verzerrt werden. Solche Währungen sind nicht in der Lage die regionalen Gegebenheiten wie gesellschaftlichen Normen, unterschiedliche klimatische und topographische Rahmenbedingungen abzubilden; das ist auch nicht ihr Ziel (3). Eine Wohlstandsnivellierung, ohne Rücksicht auf individuelle Präferenzen, ist das erklärte „Integrations“-Ziel der liberalisierten Marktwirtschaft.
Das heisst: Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ist die Verdrängung der regionalen Bevölkerung erwünscht, geht diese ja „logischerweise“ andernorts Tätigkeiten nach, die eine höhere volkswirtschaftliche Wertschöpfung erzielen – Wohlstand wird gemäss dieser Lehre auf Zählbares reduziert, auf das Bruttoinlandsprodukt. Dies offenbart, dass die ökonomische Theorie nicht in der Lage ist, emotionale und ökosoziale Bedürfnisse so ins System zu integrieren, dass dieses zur wünschbaren, nachhaltigen Kreislaufwirtschaft konvergiert.
Um lebensfähige und lebensfreundliche Regionalwirtschaften zu gewährleisten, müsste die Kaufkraft der Lokalwährung auf die lokal mögliche Wertschöpfung abgestimmt sein. Ob die Idee von regionalem Freigeld und allenfalls Freiland eine Lösung bieten könnte, müsste vertieft untersucht werden. Das Gesellschafts-Experiment „Wunder von Wörgl“ (4) von 1932 stützt diese Idee ebenso wie die Einführung der Regionalwährung „Chiemgauer“ im Januar 2003 (5). In diesem Zusammenhang erwähnenswert sind die Bedenken von Thorsten Polleit (Degussa) gegenüber Weltgeld, das er als düstere Vision bezeichnet (6).
Gelddefinitionen
Der Bürgermeister von Wörgl, Lokführer Michael Unterguggenberger, erklärte während der Depression von 1932 seinen Mitbürgern die Idee des „eigenen Wörgl Geldes“ damit, dass Geld nichts anderes sei als eine Vereinbarung. Die Vereinbarung bestand zwischen dem offiziellen Bürgermeisteramt als Herausgeber des Geldes und den Einwohnern von Wörgel als Nutzern der Geldscheine zur gegenseitigen Leistungsabgeltung. Die Vereinbarung galt aber auch zwischen den Inhabern dieser Geldscheine, sie waren austauschbar. Richtigerweise wurden sie als „Arbeitsbescheinigung“ bezeichnet.
Diese Definition ist kompatibel mit der viel älteren Verwendung des Kerbholzes. Das Kerbholz ist eine fälschungssichere Schuldanerkennung zwischen Kreditgebern und Kreditnehmern mit dem Unterschied, dass die Vereinbarung eine bilaterale war; Kerbhölzer waren m.W. nicht übertragbar.
Ganz anders Karl Marx (1818-1883) (7), der offenbar von der Tatsache ausgeht, die allgemeine Vereinbarung auf Geldverkehr sei a priori gegeben. Damit stellt sich für ihn die Frage, welchen Geldwert/Preis einer Ware inhärent sei. Sofern ich Marx richtig verstehe (8), bestimmt sich der Geldwert/Preis einer Ware relativ zum Geldwert einer anderen Ware. Diese Aussage gilt aber nur, sofern sie sich auf einen überschaubaren „Warenraum“ bezieht. Diese Sichtweise würde meine eingangs gemachte These bestätigen.
Ferdinand Tönnies (1855 – 1936) postuliert, dass das „ursprüngliche Geld“ – die geprägte Münze – durch den Gebrauch als absatzfähiges Gut und allgemein gültiges Tauschmittel etabliert wird, aber erst durch den öffentlichen Glauben in den offiziellen Garantiestempel seine Bedeutung erhält. Durch die Verpflichtung des Gemeinwesens, Geld als Kredit der Staatsregierung anzuerkennen, wird auch konventionelles Papiergeld dem Geld angeähnelt. Die Bedeutung des Geldes als etwas, das nicht ist, sondern nur bedeutet und gilt, wird in der Banknote zum Zeichen materiellen Wertes. Da die Banknote als noch immer vom Metallgeld abstammend gedacht wird, ist diese immer noch Gegenstand respektive Gut/Ware. Damit stellt Tönnies die soziale Funktion des Geldes in Beziehung zu den jeweiligen Erfordernissen sozialer Organisationen hinsichtlich der Generierung und Stabilisierung normativer Regelungen des sozialen Lebens. Somit liegt für Tönnies die Bedeutung des Geldes im Bezug zu den lokalen Gegebenheiten (7).
Für Währungs- und andere Finanz-Spekulanten ist Geld lediglich eine Ware. Diese Geld-Ware zeichnet sich
dadurch aus, dass sie jeden Bezug zu gelebter Realität ignoriert.
Fazit:
Es ist ein Akt von regionaler Selbstbestimmung, sich auf die Art von Zeit- und Wertgutschriften – Regionalgeld – zu einigen.
Konvertibilität:
Die Frage der Konvertibilität des Regionalgeldes zur Standardwährung ist schwierig zu beantworten, dürfte doch die Kaufkraft des Regionalgeldes ausserhalb seiner Stammregion tiefer liegen, als die dort geltende Standardwährung. Wie schmerzhaft die Betroffenen diesen Kaufkraftverlust empfinden, hängt von der Notwendigkeit ab, Waren wie Maschinen u.dgl. ausserhalb der Region zu beschaffen, also vom Grad der Autarkie. Anderseits könnte der verteuerte Kauf der Regionalwährung als Eintrittsgebühr in die Region begründet werden. Konkret: Der Zutritt zum Münstertal würde über den Kauf der Regionalwährung „Münstertaler“ erkauft ... das Echo „wie im Mittelalter“ hallt schon von ferne.
Zusammenfassung:
Die summarische Erkundigung zum Regionalgeld zeigen, dass die Einführung einer solchen Währung, die Selbstbestimmung der sich am Regionalgeld Beteiligten erhöht; sie können ihren gemeinsamen Wertekanon in die Art der lokalen Wertschöpfung einfliessen lassen. Den Preis, den sie dafür bezahlen müssen, spiegelt sich im Wechselkurs zur Standardwährung, der Wiederum vom Grad der Autarkie der Region abhängt. Kann sich eine Region mit selbsterzeugter, erneuerbarer Energie versorgen, erhöht dies den Grad der Autarkie.
Abschliessend scheint mir die Einführung von Regionalgeld in Randregionen als in jeder Hinsicht prüfenswert.
Fusstnoten
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Silvio_Gesell
(2) Gewerbe mit hohem, nicht nachhaltigem, Energiebedarf wie z.B. Erzgewinnung, Glasereien, Milchzuckerproduktion und Köhlereien führten zwar zu Wohlstand aber auch zu existenzvernichtender Entwaldung und sind nicht Teil der nachfolgenden Überlegungen.
(3) „Der Euro ist gewissermassen eine Weltwährungsprojekt „in Kleinen: 1999 wurden elf nationale Währungen in Einheitswährung überführt. Dahinter steckt der demokratische Sozialismus mit seinem Traum von einer, nennen wir es, europäische Einheitszivilisation:“ Thorsten Polleit (siehe Fussnote 7)
(4) https://www.zeit.de/2010/52/Woergl/ und der Film https://www.srf.ch/play/tv/schweizer-film/video/das-wunder-vonwoergl? id=779903c1-83ec-4782-8f69-d56f073693c0
(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Chiemgauer
(6) Thorsten Polleit „Weltgeld – eine düstere Vision“ NZZ 27.1.2020
(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Geld
(8) „Eine Ware scheint nicht erst Geld zu werden, weil die anderen Waren allseitig ihre Werte in ihr darstellen, sondern sie scheinen umgekehrt allgemein ihre Werte in ihr darzustellen, weil sie Geld ist.“ Im Geld fänden die übrigen Waren „ihre eigne Wertgestalt fertig vor als einen außer und neben ihnen existierenden Warenkörper.“ Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23: 107