Bundesbern und die Geldpolitik
Am 20. Oktober dürfen wir ein neues Parlament wählen. Die Anwärter*innen auf einen Sitz im National- oder Ständerat strahlen momentan von Plakaten in Stadt und Land. Sie vertreten selbstbewusst ihre wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Positionen. Nur ein Thema findet wenig Beachtung: Unser Geld- und Finanzsystem. Und das, obwohl dessen negative Nebenwirkungen auf die Wirtschaft, Gesellschaft und die Natur wissenschaftlich nachgewiesen und auch im Alltag zu spüren sind.
Aber wieso herrscht dann bei diesem Thema, abgesehen von einzelnen Ausnahmen, eine fast unheimliche Zurückhaltung in Bundesbern? Ein Grund könnte, neben dem Einfluss der Banken, auch die Sorge um die Unabhängigkeit der Nationalbank sein. Einzelne Amtsträger*innen sollen der SNB keine Weisungen erteilen dürfen. Eine im Grundsatz absolut nachvollziehbare Forderung. Nur leider verkehrt sich der sinnvolle Grundsatz der Unabhängigkeit der Nationalbank dann ins Gegenteil, wenn er als Totschlagargument gegen jeden Vorschlag zur Weiterentwicklung der geldpolitischen Rahmenbedingungen ins Feld geführt wird. Und genau das scheint aktuell der Fall zu sein.
Dabei wäre es wichtig, dass in Bundesbern Politiker*innen Ideen zu nachhaltigen und zukunftsorientierten geldpolitischen Instrumenten und Rahmen-bedingungen entwickeln und thematisieren dürfen. Und dies, ohne Angst haben zu müssen, dass diese sogleich mit dem Vorwurf der Gefährdung der Unabhängigkeit der Nationalbank im Keim erstickt werden und womöglich noch zu einem Reputationsschaden führen. Eine unverkrampfte Diskussion darüber, welche Folgen die heutige Geld- und Finanzpolitik für die Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft hat und was man vernünftigerweise tun kann, um die Probleme zu lösen, wäre in jedem Fall wünschenswert und eine Bereicherung. Gesprächsstoff gäbe es genug:
1. Die Stützung der Konjunktur durch die Geldpolitik in der nächsten Rezession
Nach 10 Jahren Wirtschaftsboom (der längste Aufschwung in der Geschichte), hat die Nationalbank einen Zins von –0.75 Prozent etabliert. Und was macht die Nationalbank eigentlich, wenn die nächste Rezession kommt? Wahrscheinlich geht sie noch weiter runter mit den Zinsen und kauft noch mehr Aktien. Aber ist das wirklich der einzige und beste Weg? Vielleicht wäre es an der Zeit, über flankierende Massnahmen der Geldpolitik nachzudenken: die Bürgerdividende. (Lesen Sie hierzu einen Beitrag von Reinhold Harringer, St.Galler Tagblatt und einen Beitrag von Michaël Malquarti, NZZ)
Der Nationalbank-Leitzins ist mit –0.75 Prozent bereits der tiefste der Welt. Wie weit kann die Nationalbank noch gehen? Die Antwort lautet: Noch viel tiefer, wenn sie will. (Lesen Sie dazu einen Beitrag von Makroökonom Fabio Canetg, SWI).
2. Die Verteilungswirkung der Geldpolitik
Prof. Dr. Gunther Schnabl, Professor für Wirtschaftspolitik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig, stellt fest: «Eine Geldpolitik, die zu Lasten der sozial Schwachen geht, ist auf Dauer nicht tragbar, weil sie den sozialen Frieden gefährdet. Deshalb sollte die ultra-lockere Geldpolitik besser heute als morgen beendet werden.». (Lesen Sie hier den ganzen Beitrag).
Mario Draghi, Präsident der EZB, und ein EU Parlamentarier hielten kürzlich fest, dass mit der momentanen Geldpolitik eine Art Helikoptergeld für die Reichen verbunden ist. (Schauen Sie hier das Video - auf englisch).
Der Bund der Steuerzahler plant eine Volksinitiative: Der Ertrag aus Nationalbank-Negativzinsen soll in die Alters- und Hinterlassenen-versicherung fliessen. (Lesen Sie mehr dazu bei Nau.ch). Dasselbe fordert auch eine parlamentarische Initiative. (Lesen Sie mehr dazu in der Solothurner Zeitung.)
3. Die marktverzerrende Wirkung der Geldpolitik
Allianz Global Investors beschäftigt sich in einem Beitrag zuerst ebenfalls mit der Verteilungswirkung der Geldpolitik und beschreibt zudem weitere Phänomene, die bei jedem Politiker, der sich einer starken, innovativen und dynamischen Wirtschaft verpflichtet fühlt, zu Sorgenfalten führen müsste. Dazu gehören z.B. die Zunahme des Anteils an «Zombie-Firmen» und die Fehlallokation von Ressourcen. (Lesen Sie hier den ganzen Bericht.)
Die Tatsache, dass die SNB und damit der Staat den Too-Big-To-Fail-Banken eine Garantie gewährt, führt dazu, dass der Bankensektor in der Schweiz stärker subventioniert ist als die Landwirtschaft. «Jedes Jahr profitieren Schweizer Grossbanken von rund 25 Milliarden Franken Subventionen», erklärt Finanzprofessor Marc Chesney. (Lesen Sie hier einen Beitrag von Urs P. Gasche auf INFOSperber.)
Einzelne Kommentatoren sehen sogar ein schleichendes Abdriften von der Marktwirtschaft in den Sozialismus (z.B. Michael Ferber, NZZ und Daniel Stelter, Manager-Magazin)
4. Die Chancen und Risiken der Geldpolitik für den Kampf gegen den Klimawandel
Die ultra-lockere Geldpolitik war wichtig, um das Geld- und Finanzsystem vor 10 Jahren vor dem Kollaps zu schützen. Aber die Zentralbanken sind auch heute noch im Krisenmodus. (Lesen Sie hier einen Beitrag aus der Handelszeitung dazu). Die heutige Geldpolitik könnte der Nährboden für eine weitere grosse Finanzkrise sein. Kommt es zu einer nächsten Krise, würden Reformen für ein nachhaltiges Wirtschaftssystem in weite Ferne rücken, weil dann andere Prioritäten in der Politik und der Gesellschaft vorherrschen.
Das Geld, das von Zentralbanken seit 10 Jahren in die Märkte hineingepumpt wird, untergräbt die Klimapolitik. (Lesen Sie hierzu ein Beitrag der Klimareporter.)
Die Nationalbank ist einer der wichtigsten Adressaten für Appelle der Klima-Allianz, weil sie mit ihren Aktienanlagen für mehr als den jährlichen CO2-Ausstoss der gesamten Schweiz verantwortlich ist. Bald stimmt der Nationalrat über ein neues Mandat für die Nationalbank ab. (Weitere Informationen finden Sie hier.)
5. Geldpolitik und Digitalisierung
Der E-Franken könnte als Instrument genutzt werden, um dem Wirtschaftsstandort Schweiz bei der Digitalisierung einen Vorsprung und Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. (Lesen Sie hier einen Beitrag von Money Today dazu.)
Thomas Jordan findet den E-Franken zwar interessant, möchte aber, dass nur Banken Zugang haben und die Bevölkerung nicht. Zumindest sagte er das bei einem Gespräch an der Uni Zürich (hier der Link zur Aufzeichnung). Soll der normale Bankkunde weiterhin nur Guthaben bei den Banken aber kein sicheres Geld von der Nationalbank auf seinem Konto haben dürfen? Wer entscheidet eigentlich, wer Zugang zum sicheren E-Franken hat und wer nicht? Thomas Jordan allein, oder redet da das Parlament auch ein Wörtchen mit?
Die Modernisierung der monetären Grundordnung
Mit der Vollgeld-Initiative wollte der Verein Monetäre Modernisierung über eine Änderung der Verfassung die Parlamentarier*innen beauftragen, das geldpolitische Konzept zu überarbeiten und neue Richtlinien für die Geldpolitik zu schaffen. Es wäre eine Chance gewesen, die oben genannten Themen strukturiert anzugehen. An dieser Stelle möchten wir uns nochmal bei den Politikern*innen bedanken, die die Vollgeld-Initiative unterstützt haben. Samuel Kullmann (Grosser Rat Kanton Bern) wünschen wir viel Erfolg bei seiner Kandidatur für den Nationalrat.
Indem das Volk die Initiative letzten Sommer abgelehnt hat, wurde die Modernisierung der monetären Grundordnung fürs Erste aufgeschoben. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Es gibt viele Fragen und Probleme, die im Zusammenhang mit unserem Geld- und Finanzsystem immer dringlicher werden. Daher wäre es wünschenswert, dass eine vom Parlament eingesetzte Expertengruppe in der nächsten Legislaturperiode einen Vorschlag erarbeitet, wie die monetäre Grundordnung im Interesse der Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft modernisiert werden könnte.
Wir sind zuversichtlich, dass mit den anstehenden Wahlen vermehrt auch Politiker *innen nach Bundesbern kommen, die erkennen, welche unerwünschten Nebenwirkungen die heutige Geldpolitik hat und bereit sind, dem Thema die Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient.
Bild: ijmaki auf Pixabay