Besondere Herausforderungen für die Geld- und Fiskalpolitik in einer Währungsunion
Die Zentralbank einer Währungsunion befindet sich in einer besonderen Lage: Auch wenn die Konjunktur in den einzelnen Mitgliedsländern bisweilen sehr unterschiedlich sein kann, muss sie dennoch mit einer einheitlichen Geld- und Fiskalpolitik darauf antworten.
In einer Währungsunion kann der Fall auftreten, dass es für einige Mitgliedsländer gut wäre, wenn die Zinsen sinken würden (weil hier die Arbeitslosigkeit hoch und die Inflation niedrig ist), während es für andere Mitgliedsländer besser wäre, wenn die Zinsen sich nicht verändern oder sogar steigen würden (weil hier die Arbeitslosigkeit gering ist und Lohn-Preis-Spiralen drohen). Selbst wenn die EZB ihr Inflationsziel von unter aber nahe zwei Prozent für den Euroraum als Ganzes erreicht, kann es sein, dass in einigen Ländern die Inflation deutlich darüber liegt, und in anderen deutlich darunter.
Keynesianer fordern aktivere Rolle der Fiskalpolitik bei der Nachfragesteuerung
Insbesondere keynesianische Ökonominnen und Ökonomen fordern daher, dass die Fiskalpolitik in der Währungsunion eine sehr viel aktivere Rolle bei der Steuerung der Nachfrage spielen sollte, als dies außerhalb einer Währungsunion womöglich notwendig wäre. In einem Land mit zu hoher Inflation müsste dann die Fiskalpolitik durch Senkung der Staatsausgaben oder Erhöhung der Steuern die Nachfrage dämpfen, um Lohn- und Preisanstiege im Zaum zu halten und dem drohenden Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit des betreffenden Landes entgegenzuwirken. Umgekehrt müsste in Ländern mit zu geringer Inflation der Staat höhere Haushaltsdefizite hinnehmen mit dem Ziel, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stärken und die Inflation der Zielmarke der EZB anzupassen. Vor diesem Hintergrund sind auch Forderungen nach einer Gemeinsamen Fiskalpolitik der EU mit einem europäischen Finanzministerium zu verstehen.
So begründet etwa Peter Bofinger in seinem Debattenbeitrag die Forderung nach höheren Staatsausgaben in Deutschland auch damit, dass in Deutschland in den Jahren vor der Krise die Inflation niedriger war als im Durchschnitt des Euroraums und auch derzeit trotz gesunkener Arbeitslosigkeit noch unterhalb des Inflationsziels der EZB liegt. Eine expansivere Fiskalpolitik könnte daher zu mehr Nachfrage, stärkerem Lohnwachstum und höherer Inflation beitragen und damit die Deflationstendenzen im Euroraum bekämpfen. Damit würde parallel eine Angleichung der Lohnstückkosten und der preislichen Wettbewerbsfähigkeit befördert werden. Andere Ökonominnen und Ökonomen sehen hingegen die derzeit sehr niedrige Inflation nicht als ein großes Problem an. Vielmehr seien in den Ländern, die Probleme mit ihrer preislichen Wettbewerbsfähigkeit haben, Lohn- und Preissenkungen notwendig, wie Thomas Mayer in seinem Debattenbeitrag argumentiert.
Stützungskäufe von Staatsanleihen einzelner Mitgliedsländer
Eine weitere Frage besteht darin, ob die Zentralbank in einer Situation sehr geringer Nachfrage und hoher Arbeitslosigkeit außergewöhnliche geldpolitische Maßnahmen ergreifen sollte, wie es die EZB seit 2012 verstärkt tut. Wenn sie die Zinsen bereits auf null gesenkt hat und nicht weiter senken kann, kann sie "Geld drucken", das heißt sie kann als "Kreditgeberin der letzten Instanz" (engl. lender of last resort) auftreten und beispielsweise die Staatsanleihen solcher Mitgliedsländer kaufen, deren Kurse gefallen sind, weil sie auf den Finanzmärkten als besonders unsicher gelten. Wenn dadurch die Kurse wieder steigen, bedeutet dies, dass die bedrohten Staaten sich zu günstigeren Konditionen, das heißt zu niedrigeren Zinsen, über die Finanzmärkte finanzieren können. In den meisten Nationalstaaten mit eigener Währung fungiert die nationale Zentralbank als "Kreditgeberin der letzten Instanz" mit dem Ziel, um Spekulationsattacken gegen die eigenen Staatsanleihen im Keim zu ersticken. In einer Währungsunion kann sich aber das Problem ergeben, dass einzelne Länder, die sich spekulativen Attacken gegen ihre Staatsanleihen ausgesetzt sehen, auf entsprechende Stützungskäufe durch die Europäische Zentralbank drängen, während andere Länder diese ablehnen mit dem Argument, dass hierdurch die Anreize für die einzelnen Regierungen verlorengehen, ihre Staatshaushalte aus eigener Anstrengung zu sanieren.
Einige keynesianisch orientierte Ökonominnen und Ökonomen befürworten die Stützungskäufe der EZB, weil sie hierin eine Möglichkeit sehen, die Deflationstendenzen innerhalb der Eurozone zu bekämpfen (vgl. den Debattenbeitrag von Ulrike Herrmann). Allerdings gab und gibt es Widerstände gegen diese Politik aus Mitgliedsstaaten wie beispielsweise Deutschland, die nicht auf die Unterstützung durch die EZB angewiesen sind, aber befürchten, von möglicherweise negativen Folgen der Stützungskäufe (Inflation, versteckte Umverteilung von Kosten, Übertreibungen an den Finanzmärkten) betroffen zu sein.
Einige Stimmen lehnen die Politik der EZB auch mit dem Argument ab, dass der Kauf von bereits existierenden Staatsanleihen, die auf den Finanzmärkten gehandelt werden, vor allem den Banken zu Gute kommt, die auf diese Weise Staatsanleihen zu einem attraktiven Preis verkaufen können, die sonst womöglich stark an Wert verloren hätten. Eine Alternative wäre, frisch gedrucktes Geld direkt an die Staaten oder die privaten Haushalte zu zahlen und so die Nachfrage zu stärken, wie etwa Norbert Häring in seinem Debattenbeitrag fordert.
Währungsunion ohne "optimalen Währungsraum"?
Einige Ökonominnen und Ökonomen, wie etwa Henning Vöpel in seinem Debattenbeitrag, argumentieren im Hinblick auf die oben skizzierten Probleme, dass eine Währungsunion nur dann sinnvollerweise eingegangen werden sollte, wenn die Mitgliedsländer einen sogenannten optimalen Währungsraum bilden. Als Voraussetzung für das Vorhandensein eines optimalen Währungsraums wird dabei insbesondere die grenzüberschreitende Mobilität der Arbeitskräfte gesehen. Hierdurch könnte u.a. das Problem unterschiedlicher Inflationsraten gemildert werden: Wenn beispielsweise in einem Land die Arbeitslosigkeit niedrig und Lohnwachstum und Inflation hoch sind, müssten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Ländern mit höherer Arbeitslosigkeit, geringerem Lohnwachstum und niedriger Inflation zuwandern. Hierdurch würden im Zuwanderungsland Lohnwachstum und Inflation fallen, weil das Angebot an Arbeitskräften zunehmen würde. Dies würde wiederum dämpfend auf die Löhne als Preis der Arbeit wirken. Umgekehrt könnte im Abwanderungsland die Arbeitslosigkeit fallen, wodurch Lohnwachstum und Inflation dort zunehmen könnten.
Die keynesianisch orientierten Forderungen, dass die Löhne und die Fiskalpolitik zwischen den Mitgliedsländern koordiniert werden sollten, sind aus dieser eher neoklassischen Perspektive tendenziell abzulehnen, weil der politische Koordinationsaufwand als zu hoch eingeschätzt wird bzw. weil derartige staatliche Eingriffe in die Märkte als ineffizient angesehen werden.
Dieser Text wurde zuerst von der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht.
Autor: Till van Treek
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