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Was wir als Guthaben auf dem Bank-Konto sehen, sind Schulden der Bank bei uns

Was wir als Guthaben auf dem Bank-Konto sehen, sind Schulden der Bank bei uns

Wenn wir auf unser Konto bei einer Schweizer Bank schauen und dort einen Saldo von beispielsweise 8’200 CHF sehen, nehmen viele intuitiv an, dass dieses Geld „uns gehört“ – als sei es in einem Tresor hinterlegt und jederzeit greifbar. Doch diese Vorstellung ist eine Illusion. In Wahrheit handelt es sich dabei um eine Schuld der Bank gegenüber dem Kontoinhaber. Was wir als Guthaben wahrnehmen, ist buchhalterisch eine Verbindlichkeit der Bank – ein Versprechen, uns diesen Betrag jederzeit auf Verlangen auszuzahlen oder zu überweisen. Diese scheinbar banale Tatsache ist der Schlüssel zum Verständnis des heutigen Geldsystems, das auf Vertrauen, Kreditmechanismen und zentralisierter Kontrolle basiert.

In der Schweiz – wie in praktisch allen modernen Volkswirtschaften – besteht der grösste Teil des im Umlauf befindlichen Geldes nicht aus Bargeld, das von der Zentralbank, in unserem Fall der SNB, emittiert wird, sondern aus sogenanntem Giralgeld. Dieses existiert nur in digitaler Form als Buchungseintrag in den Computern von Banken. Giralgeld entsteht hauptsächlich durch die Kreditvergabe der Banken: Wenn eine Bank einem Kunden ein Darlehen gewährt, schreibt sie ihm den entsprechenden Betrag als Guthaben gut. So entsteht neues Geld – nicht durch Sparen, nicht durch eine Einzahlung von Bargeld, sondern durch einen rein buchhalterischen Akt.

Dieser Prozess der Giralgeldschöpfung ist zentral für die Funktionsweise unserer Wirtschaft. Ohne ihn gäbe es kaum Investitionen, keine Hypotheken, keine Unternehmensfinanzierungen. Doch diese Schöpfung von Geld durch private Banken bringt auch erhebliche Risiken mit sich. Denn für jeden geschaffenen Franken Giralgeld steht auf der anderen Seite ein gleich hoher Schuldenbetrag – entweder in Form eines laufenden Kredits oder als andere Verbindlichkeit. Unser gesamtes Finanzsystem ist also von einer doppelten Buchführung geprägt: Das Geld, das wir auf dem Konto sehen, ist immer gleichzeitig ein Schuldenposten im System.

Diese Struktur führt dazu, dass Geld in unserem System immer durch Schulden entsteht – ein Mechanismus, der nicht allen Bürgerinnen und Bürgern bewusst ist. Besonders deutlich wurde dies während der Finanzkrise 2008, als mehrere Grossbanken weltweit – darunter auch die UBS in der Schweiz – an den Rand des Zusammenbruchs gerieten. Die Rettung der UBS durch die SNB und den Bund machte deutlich, wie fragil dieses System sein kann. Das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Banken ist entscheidend. Wenn dieses Vertrauen erschüttert wird, etwa durch eine plötzliche Zahlungsunfähigkeit, kann das gesamte System ins Wanken geraten.

Als Reaktion auf die Finanzkrise wurden in der Schweiz zahlreiche regulatorische Massnahmen ergriffen. Die Kapitalanforderungen wurden verschärft, neue Liquiditätsrichtlinien eingeführt und der Begriff „too big to fail“ in konkrete Gesetzgebung übersetzt. Diese Reformen sollen die Stabilität des Systems sichern – doch sie ändern nichts am Grundprinzip: Banken schöpfen Geld, indem sie Schulden erzeugen. Sie agieren als Kreditvermittler, aber auch als Geldschöpfer. Dieses Privileg birgt eine gewaltige Verantwortung – und eine systemische Macht.

Ein oft übersehener Aspekt dabei ist, dass nicht nur Banken, sondern auch wir als Privatpersonen durch unser Verhalten dieses System mitformen. Wenn wir einen Kredit aufnehmen, wird neues Geld geschaffen. Wenn wir ihn zurückzahlen, wird dieses Geld wieder „vernichtet“ – es verschwindet buchhalterisch aus dem System. Das heisst auch: Unser individuelles Finanzverhalten hat makroökonomische Auswirkungen. Eine kreditfreudige Bevölkerung treibt das Wachstum an – eine zurückhaltende Kreditvergabe hingegen kann unter Umständen zur Deflation führen.

Um dieses fragile Gleichgewicht zu steuern, spielt die SNB eine zentrale Rolle. Sie steuert über ihren Leitzins, Offenmarktgeschäfte oder Devisenkäufe die Rahmenbedingungen, unter denen Banken agieren. Die SNB selbst kann jedoch kein Giralgeld erzeugen – sie stellt den Banken Zentralbankgeld zur Verfügung, das diese als Reserve halten müssen. Doch im Alltag haben wir als Bürger kaum Berührungspunkte mit diesem Zentralbankgeld. Wir können kein Konto bei der SNB führen. Dies ist im wesentlichen Banken und den SNB Mitarbeitern vorbehalten. Was wir besitzen, ist stets eine Forderung gegenüber einer Geschäftsbank – nie gegenüber der Zentralbank selbst.

Diese Trennung zwischen Zentralbankgeld und Giralgeld war auch ein zentrales Thema der Vollgeld-Initiative, über die die Schweizer Bevölkerung 2018 abstimmte. Die Initianten forderten, dass nur noch die SNB Geld schöpfen dürfe – sowohl Bargeld als auch digitales Geld. Ziel war es, das Finanzsystem zu stabilisieren, Blasen zu verhindern und die Geldmenge besser kontrollierbar zu machen. Trotz der teils überzeugenden Argumente wurde die Initiative mit grosser Mehrheit abgelehnt. Der Status quo blieb bestehen – doch das Thema Geldschöpfung erreichte erstmals eine breite öffentliche Diskussion.

In der Zwischenzeit schreitet die technologische Entwicklung rasant voran. Die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs, das Aufkommen von Kryptowährungen und die Idee eines digitalen Zentralbankgeldes (CBDC) haben das Verständnis von Geld weiter verändert. Die SNB beteiligt sich aktiv an Pilotprojekten wie „Project Helvetia“ und erforscht, wie digitales Zentralbankgeld eingesetzt werden könnte – zunächst für den Interbankenverkehr, möglicherweise später auch für den Endverbraucher. Eine solche Innovation würde die bestehende Trennung zwischen Zentralbankgeld und Giralgeld aufheben – mit weitreichenden Konsequenzen für das Bankenwesen.

Wenn nämlich Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit hätten, digitale Schweizer Franken direkt bei der SNB zu halten, könnten sie sich vom Risiko einer Bankinsolvenz unabhängig machen. Dies könnte das Vertrauen in das Geldsystem weiter stärken – aber gleichzeitig auch eine massive Verschiebung von Einlagen weg von den Geschäftsbanken zur SNB auslösen. Die Banken müssten neue Geschäftsmodelle entwickeln, höhere Zinsen bieten oder alternative Formen der Kreditfinanzierung finden. Der Wettbewerb würde sich verschärfen – und die SNB bekäme eine neue, mächtigere Rolle als „Bank der Bürger“.

Ein weiteres Spannungsfeld ergibt sich aus der globalen Vernetzung der Finanzmärkte. Der Schweizer Franken gilt als „sicherer Hafen“ – was in Krisenzeiten zu einer Aufwertung der Währung führt. Diese Aufwertung macht Exporte teurer und gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Die SNB sieht sich deshalb häufig gezwungen, durch Devisenkäufe oder Negativzinsen gegenzusteuern. Auch das ist ein Ausdruck davon, wie sehr unser Geldsystem von internationalen Strömen, Erwartungen und Marktpsychologie beeinflusst wird.

Gleichzeitig entstehen in der Schweiz neue Initiativen, die auf eine stärkere Demokratisierung des Finanzsystems abzielen. Lokale Währungen, gemeinwohlorientierte Banken oder Plattformen für Peer-to-Peer-Kredite gewinnen an Bedeutung. In der Region Zug – bekannt als „Crypto Valley“ – entstehen Blockchain-basierte Projekte, die das Vertrauen in zentrale Institutionen durch transparente Algorithmen ersetzen wollen. Diese Experimente stellen nicht nur technologische, sondern auch ideologische Alternativen dar – und zeigen, dass Geld nicht naturgegeben, sondern gestaltbar ist.

Für den Einzelnen bleibt dabei oft die Frage: Was heisst das konkret für mich? Die Antwort ist zweischichtig. Einerseits sollten wir uns bewusst machen, dass unsere Bankguthaben rechtlich gesehen kein Eigentum sind, sondern Gläubigerforderungen. Wenn eine Bank zahlungsunfähig wird, sind wir im Konkursfall lediglich Gläubiger unter vielen – abgesichert bis zum gesetzlichen Höchstbetrag der Einlagensicherung. Andererseits bleibt das System trotz seiner Komplexität und Abstraktheit erstaunlich stabil. Die Schweiz zählt zu den Ländern mit dem höchsten Vertrauen in das Bankensystem – nicht zuletzt dank konservativer Geldpolitik, stabiler Institutionen und einer langen Tradition finanzpolitischer Zurückhaltung.

Dennoch sollten wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Das Verständnis dafür, wie Geld entsteht, funktioniert und verteilt wird, ist eine wichtige Voraussetzung für politische Mündigkeit. Gerade in einer direkten Demokratie wie der Schweiz ist die ökonomische Bildung von Bürgerinnen und Bürgern essenziell. Sie ermöglicht es, über komplexe Sachverhalte wie die Vollgeld-Initiative oder digitale Zentralbankwährungen informiert abzustimmen – und die Zukunft des Geldsystems aktiv mitzugestalten.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Unser Bankguthaben ist kein „echtes“ Geld, sondern ein Anspruch – eine Schuld, die uns die Bank schuldet. Dieses System funktioniert nur, solange das Vertrauen erhalten bleibt: Vertrauen in die Bank, in die Regulierung, in die Zahlungsfähigkeit und letztlich auch in den Staat, der im Notfall als letzte Instanz eingreifen kann. Geld ist weniger ein materieller Gegenstand als vielmehr ein soziales Versprechen – ein Netz aus Rechten, Pflichten und kollektiver Übereinkunft.

Wer dieses System versteht, erkennt auch seine Schwächen – aber auch seine Chancen. Denn wenn Geld eine soziale Konstruktion ist, dann liegt es auch in unserer Hand, es zu verbessern. Ob durch stärkere Regulierung, technologische Innovationen, politische Reformen oder ein neues Bewusstsein für den Umgang mit Geld: Die Zukunft unseres Finanzsystems ist nicht festgeschrieben. Sie beginnt in unserem Denken – und in der Frage, ob wir bereit sind, unser Verständnis von Geld neu zu überdenken.

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