Negativzins - das Wundermittel das keins ist (Teil 2)
Teil 2: Bargeld, das lästige Überbleibsel
Der offensichtlichste Haken am Vorschlag von Negativzinsen ist das noch existierende Bargeld. Negativzins auf Münzen ist praktisch unmöglich, und auf Noten unverhältnismäßig aufwendig. Nach Gesell (1916), auf den die Idee eines künstlichen Geldschwunds (wörtlich 'Schwundgeld') zurückgeht, sollten Banknoten periodisch um einen bestimmten Prozentsatz abgewertet werden. Um den Schwund auszugleichen, sollte man Wertmarken gleicher Höhe kaufen, die auf die Note zu kleben waren. Andernfalls wäre der Geldschein nicht mehr gültig.[3] Heute wie damals wäre das nur mit unverhältnismäßigem Aufwand umsetzbar. Auf Kontoguthaben dagegen lässt sich ein prozentualer Geldwertschwund oder Negativzins viel besser erheben. Allerdings, bei Auferlegung eines spürbar hohen Negativzinses hätte dies zur Folge, dass die Leute versuchen, dem dadurch auszuweichen, dass sie ihr Geld bar halten. Unter den heutigen Bedingungen, wo das Bargeld effektiv kaum mehr als 5% der umlaufenden Geldmenge ausmacht, wäre das aber nicht darstellbar bzw es würde auf einen permanenten Bankrun auf Bargeld hinauslaufen – einen Kreislaufzusammenbruch mangels genügend Liquidität, der dem bestehenden System fraktionalen Reservebankings inhärent ist.
Von daher fordern Befürworter eines Negativzinses auch die Abschaffung von Bargeld. Das Verschwinden des Bargelds ist absehbar, zieht sich aber hin. Das soll nicht länger den Zahlungsgewohnheiten der Geldbenutzer überlassen bleiben.[4] Die offizielle Geldmenge besteht inzwischen zu 90% aus Giralgeld und 10% Bargeld. Von diesem Rest Bargeld läuft der größere Teil nicht einmal um, sondern wird als Sicherheitspolster aufbewahrt oder kursiert als Parallelwährung im Ausland.[5] In dieser Situation würden es längst auch die Banken gut heißen, wenn das Bargeld verschwände. Die Finanzierung und Handhabung von Bargeld ist für die Banken vergleichsweise viel teurer als die nur fraktionale Refinanzierung und Handhabung des Giralgelds. Ohne Bargeld blieben die Leute allein vom Giralgeld der Banken abhängig – was wiederum den Rest an Kontrolleinfluss der Zentralbanken über das Giralgeld vor allem der großen Megabanken umso mehr schwächt.
Als Reaktion auf diese und andere Entwicklungen haben die Verfechter gesetzlicher Zahlungsmittel Konzepte entwickelt, elektronisches oder digitales Zentralbankgeld, also Vollgeld, in den Publikumsverkehr einzuführen, sei es als Kontogeld oder künftig vielleicht auch Kryptogeld, als Äquivalent für die langsam aber sicher verschwindende Basis an Bargeld. Die momentan bekanntesten Ansätze sind die CBDC-Modelle der Bank von England (Central Bank Digital Currency) und das E-Krona Konzept der Schwedischen Reichsbank.[6] Zugleich, und sicherlich nicht zufällig, passen diese Konzepte ohne weiteres zum Vorhaben, Negativzins allgemein auferlegen zu können.[7] Eine Studie des IWF stellt ausdrücklich fest, dass digitales Zentralbankgeld 'die faktische untere Nullzinsgrenze der Geldpolitik eliminieren würde'.[8]
Als Alternative zur abrupten Abschaffung des Bargelds versucht ein anderer Ansatz, Bargeld vom Giralgeld zu 'entkoppeln' und damit Bargeld als eine Art 'Parallelwährung' zu behandeln.[9] Die Sache so darzulegen, ist jedoch reichlich irreführend. Denn den Autoren geht es nicht um 'Entkopplung', sondern um 'Ankopplung' des Bargelds an das Giralgeld unter Negativzins-Bedingungen. Es geht also nicht darum, die 1:1 Parität zwischen Bargeld und Giralgeld aufzugeben, sondern vielmehr sie auch bei Negativzins aufrecht zu erhalten durch Erhebung eines Umtauschzinses, faktisch eines Strafzinses, auf Bargeld (conversion rate of cash [CRC]). Dieser Strafzins würde zum Beispiel erhoben, wenn Bargeld von einem Konto abgehoben wird. In einem ersten Schritt würde der CRC auferlegt, wenn Banken bei der Zentralbank oder anderen Händlern Bargeld ordern. Von den Banken wird erwartet, dass sie den Strafzins im nächsten Schritt dann ihren Kunden auferlegen, wenn diese am Automaten Bargeld abheben. Was die CRC-Befürworter nicht sagen: Die Banken würden dabei einen Extragewinn machen, denn die Banken erhalten den größeren Teil des Bargelds kostenlos von ihren Geschäftskunden, würden aber von allen Barabhebern den Strafzins nehmen.
ENDNOTEN
[3] In den 1920ern bis in die 1930er gab es eine Gesellianische freiwirtschaftliche Geldreformbewegung in Mitteleuropa und den USA. I. Fisher unterstützte diese, bis er sich dem Ansatz der 100%-Reservehaltung zuwandte.
[4] Zu den Befürwortern einer Bargeldabschaffung zwecks Auferlegung von Negativzins gehören Svensson 2003, Buiter 2009, Rogoff 2014, Ball/Honohan/Gagnon/Krogstrup 2016.
[5] Esselink/Hernández 2017, Krueger/Seitz 2014 7, Rogoff 1998.
[6] Barrdear/Kumhof 2016, Kumhof/Noone 2018, Swedish Riksbank 2016, 2018.
[7] Zum Beispiel Bordo/Levin 2017 3, Bordo 2018 3.
[8] IMF 2018 4, 29.
[9] Vgl Agarwal/Kimball 2015, Assenmacher/Krogstrup 2018, Rogoff 2017, IMF 2018.
Dieser Artikel wurde von Professor Joseph Huber verfasst und zuerst auf seinem Blog www.vollgeld.de veröffentlicht.
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